Amor und Psyche - Kapitel 4
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Apuleius: Amor und Psyche
Märchen
Viertes Kapitel
Venus und Amor
Während so Psyche auf der Suche nach Amor von Land zu Land wanderte, lag dieser mit seiner Brandwunde stöhnend im Boudoir seiner Mutter. Da tauchte die schneeweisse Möve, die über den Meeren schwebt, in die Tiefe des Oceans unter, wo Venus im Bade schwamm. Ihr meldete der Vogel, dass ihr Sohn an einer schmerzhaften Brandwunde daniederliege und dass sie mit ihrer ganzen Familie in das böse Gerede der Menschen auf der ganzen Welt komme. »Dein Sohn, murren sie, buhle mit einem Liebchen im Gebirge, du seist fern im Ocean, und in eurer Abwesenheit gäbe es nicht Lust noch Liebe, keine Freundschaften, keine Ehegemeinschaften und keine Kinderfreuden; das ganze Leben habe seinen Reiz und seine Grazie verloren und nur hässliche Orgien fänden statt.« Diese Worte plapperte der vorwitzige Vogel der Venus ins Ohr, um ihren Sohn bei ihr anzuschwärzen. »Also – rief sie erregt aus – hat mein braver Sohn schon ein Liebchen? Nenne mir, einzig treue Dienerin, den Namen der Verführerin des anständigen, kaum den Kinderschuhen entwachsenen Knaben, sei's eine Nixe oder Elfe, sei's eine von meinen Huldinnen oder eine vom Musenchor.« »Das weiss ich nicht, Herrin – sprach der plauderhafte Vogel –; sie heisst aber, wenn ich den Namen richtig behalten habe, Psyche, und er ist, glaub' ich, in sie bis über die Ohren verliebt.« »Ist's möglich – rief Venus empört –, in Psyche, meiner Schönheit und meines Namens Nebenbuhlerin, hat sich das Bürschchen verliebt? Er muss mich also für eine Kupplerin gehalten und geglaubt haben, dass ich ihm die Dirne zu dem Zweck zeigte, um seine Bekanntschaft mit ihr zu vermitteln!« Mit diesen Scheltworten tauchte sie schnell aus dem Meere empor und eilte gradeswegs in ihr güldnes Schlafzimmer, wo sie wirklich ihren Sohn krank liegend fand. »Das passt ja – rief sie schon in der Thür laut scheltend – recht nett zu deiner Herkunft und zu deiner Artigkeit! Nicht genug, dass du meine, deiner Mutter und Herrin, Befehle mit Füssen tratest und meine Feindin nicht durch eine Ehe mit einem gemeinen Menschen straftest: nein, du Ausbund, du unreifer Junge, hast sie selbst in deine Arme genommen!
Ich soll mir wohl meine Feindin als Schwiegertochter gefallen lassen? Du bildest dir wohl ein, du Hanswind, du Mädchenverführer, du ungezogener Knabe, du seist allein der Prinz und ich zu alt, um Mutter eines zweiten werden zu können? So wisse denn, dass ich einen weit besseren Bruder an deine Stelle treten lassen werde. Doch nein: das wäre nicht genug des Schimpfs für dich. Ich werde einen meiner Pagen adoptieren und ihm diese Flügel, Fackeln, Bogen und Pfeile, kurz, mein ganzes Gerät schenken, das ich und dein Vater dir wahrlich nicht dazu gegeben hatten, dass du dich so damit aufführtest. Aber du bist von Kindheit an missraten gewesen: dir prickelte es oft in den Fingern, unehrerbietigerweise deine Eltern zu verwunden, ja mich, deine liebreiche Mutter, misshandelst du täglich, denn du hast vor mir, als einer alleinstehenden Frau, ganz und gar keinen Respekt und selbst vor deinem Stiefvater, dem gewaltigen Kriegsmann, bist du nicht bange; wie solltest du auch wohl? pflegst du ihm doch, mir zum Verdruss, mit Dirnen aufzuwarten. Aber warte nur, bald sollst du dein Spiel bereuen und die Bitternis deiner Liebelei zu schmecken bekommen! – Wenn ich nur erst wüsste, durch welche Mittel und Wege ich dem Spitzbuben, der mich zum besten gehabt hat, das Handwerk legen könnte! Soll ich meine ärgste Feindin Mässigkeit zu Hilfe rufen, sie, die ich grade dank dieses übermütigen Knaben so oft beleidigt habe? Nein, mir graut davor, mich persönlich an die unfeine Person zu wenden. Und doch: Rache ist süss, und da gilt's nicht wählerisch in den Mitteln zu sein; sie und keine andere muss mir dabei helfen, den Taugenichts zu züchtigen, ihm seine Waffen zu rauben und ihn am eignen Leibe einer energischer Kur zu unterziehen. Erst dann will ich den mir zugefügten Schimpf als gesühnt ansehen, wenn sie ihm die Locken geschoren hat, die ich oft streichelte, dass sie goldig schimmerten, und wenn sie ihm die Flügel gestutzt hat, die ich ihm auf meinem Schosse oft mit balsamischem Nektar beträufelte.« Nach diesen Worten stürzte sie hinaus, Hass und Groll im Herzen. Da begegneten ihr Ceres und Juno. Als diese den Zorn in ihren Mienen sahen, fragten sie, warum sie mit ihren holdseligen Augen so finster dreinschaue. Doch Venus erwiderte: »Ihr kommt mir grade recht, um mir in meiner Erregung eine Gefälligkeit zu erweisen. Helft mir, bitte, nach Kräften bei der Suche nach der entlaufenen Psyche. Ihr wisst ja um den Familienskandal, den mein sauberer Sohn angerichtet hat.« Jene waren natürlich von allem unterrichtet, versuchten aber doch, ihren Zorn zu besänftigen. »Ist's denn wirklich etwas so Schlimmes, Verehrteste, was dein Sohn verbrochen hat, dass du seinen Vergnügungen hartnäckig in den Weg treten und auf den Tod seiner Geliebten sinnen müsstest? War es denn in aller Welt ein Verbrechen, dass er ein Auge auf das hübsche Mädchen geworfen hat? Du vergisst doch nicht, dass er ein junger Bursche in der Blüte seiner Jahre ist? oder glaubst du etwa, weil er für sein Alter noch so niedlich aussieht, er sei noch ein Knabe? Du, seine Mutter und eine so verständige Frau, willst noch immer auskundschaften, womit dein Sohn sich amüsiert, ihm seine Liebesabenteuer unter Scheltworten untersagen und deine eignen galanten Künste einem so schönen Sohne zum Vorwurf machen? Götter und Menschen werden Einspruch dagegen erheben, dass du, die du die Saat der Leidenschaften über die ganze Welt ausstreuest, durch so strenge Behandlung deines Amor ihnen die Möglichkeit rauben willst, sich den Freuden der Liebe hinzugeben.« So nahmen sie aus Gefälligkeit die Partei Amors und schmeichelten ihm aus Furcht, er möchte sich sonst an ihnen mit seinen Pfeilen rächen. Venus aber war empört, dass man sie bei dem ihr geschehenen Unrecht noch zum besten habe: sie kehrte ihnen den Rücken und eilte in die Tiefe des Oceans.