Wutausbrüche - oft sind negative Gedanken und Glaubenssätze die Ursache
- Written by Amalie Stummer
- Published in GESUNDHEIT
Was deine Wut mit deinen Gedanken und deiner inneren Haltung zu tun hat
Warum passiert es uns eigentlich ausgerechnet gegenüber unseren Kindern häufiger, dass wir heftige Wutausbrüche bekommen? Warum schreien wir gerade die Menschen an, die wir am meisten lieben? Eigentlich sollte es ja so sein, dass wir unsere Lieben mit besonders viel Nachsicht, Achtsamkeit und Hingabe begegnen und dass wir sie – weil wir sie so lieben – mit all unserer Zuwendung überschütten. Mich suchen regelmäßig Menschen auf und fragen um Rat, weil sie die Familie als Kriegsschauplatz erleben anstatt liebevoll miteinander zu agieren. Durch das genauere Beobachten meiner eigenen Wutmuster und die Auswertung vieler Gespräche und Coaching-Sitzungen, die ich im Laufe meiner Arbeit bereits geführt habe, konnte ich mehrere Dimensionen entlarven, die mit unseren, häufig als unwillkürlich erlebten, Wutausbrüchen im Zusammenhang stehen. Da jede Dimension für sich umfangreich zu erläutern ist, werde ich mich in diesem Artikel mit einem Aspekt befassen, den ich zwar immer wieder anspreche, der aber immer noch nicht wirklich im Bewusstsein vieler Eltern angekommen ist:
Der Einfluss unserer Gedanken und unserer inneren Haltung auf unsere Gefühle
Wut ist zwar ein Gefühl, allerdings unterscheiden wir in der Gewaltfreien Kommunikation zwischen primären und sekundären Gefühlen. Wut gehört zu den sekundären Gefühlen, weil sie andere Emotionen, wie Angst, Ohnmacht, Trauer, etc. überlagert und nur im Zusammenhang mit bestimmten Gedanken oder einer bestimmten Haltung auftritt. Was meine ich damit?
Beobachtest du nicht auch, dass du im Alltag mit deiner Familie schnell bestimmte Dinge (Verhaltensweisen, Abläufe, etc.) als gegeben nimmst? Wenn wir uns der Liebe bestimmter Menschen gewiss sind, dann schleift sich, wenn wir unachtsam sind, eine Erwartungshaltung besonders gegenüber unseren Kindern ein, die manchmal an Egozentrismus nicht zu überbieten ist. Wie schnell sind wir dabei, die kleinen (Liebes)Dienste unserer engsten Vertrauten als gegeben, selbstverständlich und unser Recht zu betrachten? Hinzu kommt, dass wir durch unsere eigene Erziehung stark geprägt sind und entsprechend z.T. antiquierte Vorstellungen darüber in unserem Unterbewusstsein schlummern, wie die Dinge „sein sollten“. Ich nenne das auch gern Erziehungsglaubenssätze:
- „Man muss ‘Guten Tag’ sagen.“
- „Mit dem Essen spielt man nicht.“
- „Es gehört sich nicht, dass man einem Erwachsenen ins Wort fällt.“
- „Wenn man etwas will, muss man ‘Bitte’ sagen.
- „Wenn man etwas falsch gemacht hat, muss man dafür Reue zeigen und sich entschuldigen.“
Wir verlangen von unseren Kindern unreflektiert häufig Verhaltensweisen und setzen motorische und kognitive Entwicklungsschritte voraus, die bei genauerem Hinsehen wirkliche Herausforderungen für die Kleinen darstellen. Zusätzlich untergraben wir durch diese Denkweisen die Bedürfnisse und das Selbstwertgefühl unserer Kinder. Von der Art und Weise, wie wir mit den Kindern sprechen, wenn wir all dies einfordern mal ganz zu schweigen. Ich gebe dir mal eine Beispielsituation aus meinem Alltag, die dieses Gedanken- und Haltungsthema sehr schön veranschaulicht:
Wir waren neulich zu einem Familienausflug unterwegs und mein Sohn hatte einen „Ich will nicht“ Tag. Das bedeutete an diesem Tag, dass egal, was mein Mann und ich und auch die Omi (die er gewöhnlich vergöttert) ihm vorgeschlagen haben erst mal mit einem „Neeeiiiinn!“ abgelehnt wurde. Das ist eine ganz normale Begleiterscheinung seiner nun stark ins Rollen gekommenen Autonomiephase.
Natürlich bekamen wir Eltern immer wieder die ungefragten Kommentare der Familienmitglieder angetragen, „dass er ja heute ein ordentliches Böckchen hat“ und „warum er denn so miserabel drauf sei“ und „ob ich mir das denn den ganzen Tag gefallen lassen wollen würde“ usw.
Da ich, wenn es darum geht, die Kritik am Verhalten meines Kindes auszuhalten und ggf. zu parieren echt geschult bin, dachte ich mir, ich nutze die Gelegenheit und erforsche die Haltung, die meine Verwandten heute gegenüber meinem Kind vertreten, wenn er mal nicht Prinz Charming spielt (was scheinbar von den Beteiligten als gegeben vorausgesetzt wurde).
Also fragte ich meine Verwandten im Zwiegespräch frei heraus: „Bist du genervt, weil wir heute sehr langsam voran kommen, weil Richard lieber im Gebüsch spielt?“ Und da kamen u.a. folgende, deutlich verärgerten Rückmeldungen:
„Ja, er ist doch normalerweise so umgänglich, so habe ich ihn ja noch nie erlebt. Was ist denn nur mit dem sonst so lieben Kerl los?“
„Ja, das geht doch nicht, dass er die ganze Truppe aufhält.“ (Man bemerke, dass es sich um einen Park handelte, indem wir uns aufhielten, ohne großartig irgendwohin wandern zu wollen.)
„Er kann doch auf dem Spielplatz dort drüben spielen! Der ist neu gemacht und so schön! Die Kinder von heutzutage wissen solche Dinge wirklich nicht mehr zu schätzen.“
„Der will einfach nicht hören. Willst du da nicht mal was sagen? Also wenn das mein Sohn wäre…“
So in der Art ging das noch eine ganze Weile. Ich konnte die Bedürfnisse meiner Verwandten hinter diesen Aussagen gut wahrnehmen (Leichtigkeit, etwas von der Umgebung sehen, Austausch, etc.) und gleichzeitig auch ihre Überzeugungen und ihre Haltung gegenüber meinem Kind, das an diesem Tag voll von „das geht doch nicht…“ und „der muss doch…“ oder „der darf nicht…“ war und von wenig Wohlwollen zeugte, weil er nicht nach ihren Vorstellungen und wie gewohnt funktionierte.
Ich kann nicht behaupten, dass ich von den Reaktionen und Kommentaren meiner Verwandten entsetzt gewesen wäre. Dafür ist mir dieses Phänomen und die unreflektierte Haltung gegenüber Kindern einfach zu vertraut und schockt mich einfach nicht mehr.
Ich war dennoch traurig, dass es erst nach einigem fachlichem Zeigefingerschwingen meinerseits (und vielleicht nur deshalb) möglich war die Aufmerksamkeit meiner Verwandten auf die Entwicklungsphase zu lenken, in der sich mein Sohn aktuell befindet. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie erreicht habe, als ich sie darum bat, sein Verhalten nicht persönlich zu nehmen. Ich versuchte ihnen bewusst zu machen, dass er all dies nicht tut, um sie zu ärgern, sondern, dass er sich damit seine Bedürfnisse erfüllt (Autonomie, Selbstwirksamkeit, Spiel – nach seinen Vorstellungen! usw.).
Ich konnte heraushören, dass meine Verwandten die Überzeugung in sich tragen, dass mein Kind sie mit seinem Verhalten tyrannisiert und all dies „mit Absicht“ macht. Dementsprechend reagierten sie mit Ärger und Wut.
Nachdem es ihnen gelang, das Verhalten meines Kindes mit seiner derzeitigen Entwicklung in Zusammenhang zu bringen (und nachdem ich mich auf ihre Bedürfnisse eingestellt und ihnen gefühlt einen fachlichen Vortrag zum Thema Autonomiephase gehalten hatte), reagierten sie mit deutlich mehr Gelassenheit und Verständnis. Sie konnten sich dafür öffnen, dass wir uns neue Strategien überlegen, wie alle unsere Bedürfnisse an diesem Tag unter einen Hut gebracht werden können.
Das haben wir im Übrigen dann auch getan, indem wir die Bänke für das Picknick einfach umgeräumt haben und somit mein Kind weiter in den Büschen spielen konnte und alle anderen trotzdem gemütlich sitzen konnten. Plötzlich war es für alle Beteiligten eher „niedlich anzusehen“, wie er im Gebüsch einen Tyrannosaurus Rex auf der Jagd spielte und meine Verwandten erfreuten sich plötzlich daran, ihm bei seinem Spiel zu beobachten. Als meine Mutter dann noch bemerkte, wie schön sie es findet, dass er sich mit Stöcken ganz allein beschäftigen kann und so viel Fantasie hat, sah ich die Bestätigung, dass es wirklich einfach nur eine Frage der Haltung ist.
Unser Denken und unsere Haltung ist also maßgeblich daran beteiligt, wie wir uns in einer bestimmten Situation fühlen und ich möchte an dieser Stelle nochmal einen kleinen Überblick über die vielfältigen Denkmuster geben, die unseren Ärger und unsere Wut befeuern können:
1. Bewertungen
Sobald wir bewerten, nehmen wir eine festgefahrene Haltung ein und werden blind für die Bedürfnisse anderer Menschen. Unser Wortschatz an Bewertungen ist sehr umfangreich:
gut/böse, normal/anormal, erfolgreich/gescheitert, klug/dumm, verantwortlich/unverantwortlich, aufmerksam/ignorant, …
2. Moralische Urteile
Wenn wir auf moralischer Ebene urteilen, kommen wir in eine Haltung, die anderen Menschen unterstellt, dass sie unrecht haben oder generell schlecht sind, wenn sie sich nicht nach unseren Wünschen verhalten. Die Aussage zu den Spielplätzen und das „die Kinder von heute solche Dinge nicht mehr zu schätzen wissen“ ist ein gutes Beispiel für ein moralisches Urteil.
3. Vergleiche
Wenn wir vergleichen, kommen wir schnell in die Versuchung, das Verhalten unserer Kinder an äußeren Maßstäben festzumachen, ohne vorher zu wissen oder gar zu überprüfen, ob das Verhalten der Person, die zum Vergleich heran gezogen wird, wirklich adäquat ist.
Zum Beispiel: „Guck mal, die Kinder da drüben spielen so schön im Sand (und du?)“
Das mein Sohn aber einfach SEIN SPIEL spielen will, hat mein Verwandter, als er sich so äußerte dabei nicht berücksichtigt. Wir kommen aus dem Vergleichen der Kinder untereinander schnell wieder ins Bewerten und tappen dann gedanklich in die Falle, dass alle Kinder irgendwie gleich sein und sich gleich verhalten sollten – Sie sind aber weder gleich noch verhalten sie sich so!!!
4. Verallgemeinerungen
Es vergeht fast kein Tag, an dem mir in der Kita, beim Einkaufen oder auf dem Spielplatz nicht irgendwo solch eine Verallgemeinerung gepaart mit einem sichtlich verärgerten oder gar wütenden Elternteil begegnet. Ich höre dann häufig Sätze wie:
„Immer machst du so ein Theater!“
„Alles muss ich dir dreimal sagen!“
„Nie hörst du mir zu!“
„Nie machst du, was ich dir sage!“
Wenn wir uns mal ehrlich die Situationen mit unseren Kindern anschauen, dann fällt uns auf, wie ungerecht diese pauschalen Urteile sind. Es stimmt einfach nicht, dass sie „immer Theater machen“ oder „nie zuhören“. Trotzdem denken wir häufig so und lassen es aus dieser Haltung her zu, dass uns der Kragen platzt.
Ich stelle dir dazu mal ein paar konstruktive Fragen zur inneren Orientierung im Alltag:
Wie wäre das Leben mit deinem Kind wohl, wenn es IMMER Theater machen würde?
Wie erginge es dir wohl, wenn dein Kind wirklich NIE auf dich hören würde?
5. Unsere Erwartungshaltung / Forderungen
Wenn ich an mein Kind Forderungen stelle oder ihm Anweisungen gebe, dann begegnen ich ihm mit der Haltung „Du musst mir gehorchen.“ Wenn das Kind dann eben nicht so handelt wie gefordert, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann Ärger und Wut in mir aufwallen. Ich kenne eine Menge Eltern, die die Idee im Kopf haben, dass sie die Anweisungen geben und die Kinder funktionieren müssen. Meine Verwandten hatten solche Vorstellungen wohl ebenfalls im Kopf, als sie mich aufforderten, meinen Sohn aus dem Gebüsch zu holen.
Wenn ich in einer Erwartungshaltung bin, dann bin ich im Modus der Machtausübung und damit sehr gewaltbereit.
Diese Denkweise ist wirklich stark in unseren Köpfen verankert und führt, wenn sich unsere „Untergebenen“ widersetzen, natürlich zu unserer Verärgerung.
Nur mal so am Rande: Weil Menschen sich in einen solchen Modus begeben, gibt es überhaupt Krieg und Gewalt auf der Welt. Im Großen (Weltpolitisches Geschehen) wie im Kleinen (Familie, persönliches Umfeld, usw.) verbirgt sich dahinter immer die Erwartungshaltung, dass irgendjemand mir gegenüber verpflichtet ist und zu gehorchen hat. Mir und auch dir ist aber NIEMAND verpflichtet!
Aus dieser Haltung heraus kommen wir nicht nur schneller in Ärger und Wut, sondern wir bezahlen zudem einen hohen Preis! Denn die dadurch verursachte emotionale Trennung zwischen uns und unseren Kindern (oder anderen Lieben) verursacht tiefe Risse in der Beziehung zueinander.
Wie kann ich an meiner Haltung arbeiten und destruktive Gedanken entlarven?
Wenn du erkannt hast, dass du in den Gedankengängen und auch deiner Haltung Optimierungspotenzial hast, dann gibt es zwei Aspekte, die ich dir gern ans Herz legen will:
1. Übernimm die Verantwortung für die Wahrnehmung deiner Wirklichkeit
Wir können uns bewusst dafür entscheiden, Bewertungen, Urteile, Verallgemeinerungen, Interpretationen usw. sein zu lassen.
Damit legen wir den Grundstein zu einer Kommunikation, die es uns ermöglicht eine liebevolle Verbindung zu unseren Kindern und allen anderen Menschen herzustellen. Ein weiterer Schritt ist die Übernahme der eigenen Verantwortung für unsere Wahrnehmung und folglich auch die 100%-tige Verantwortung für unsere Reaktionen. In dem Moment, in dem wir anfangen, zu 100% die Verantwortung dafür zu übernehmen, wie wir reagieren, wenn uns Stress, Konflikte, etc. widerfahren, haben wir auch die Macht darüber, unser Handeln so auszurichten, dass wir unsere Mitmenschen mitfühlend und liebevoll behandeln. Dann kommen wir gar nicht erst in die Wut!
2. Lerne Beobachtungen von Bewertungen, Urteilen, Interpretationen, Erwartungen usw. zu unterscheiden
Klar zu unterscheiden, was in unserem Kopf gerade abläuft – ob wir bei den Fakten sind oder fleißig bewerten, urteilen usw. erfordert Achtsamkeit und ein Bewusstsein für unsere Gedanken und unsere Haltung.
Um eine klare Unterscheidung zwischen Beobachtungen und Bewertung, Urteilen usw. treffen zu können, ist es sinnvoll, den Fokus auf das zu legen, was ich „sehen“ und „hören“ kann. Alles andere sind Aspekte, die ich hinzu mache. Ich kann z.B. keine Gefühle sehen!
Wenn jemand sagt: „Ich sehe, dass du wütend bist.“, dann ist das eine Interpretation! Ich sehe vielleicht, dass jemand ein angespanntes Gesicht hat. Ich kann außerdem sehen, dass dessen Kopf rot angelaufen ist. Ich höre, das er/sie schreit, aber ob es Wut ist, kann ich erst dann genau wissen, wenn ich es vom Gegenüber bestätigt bekomme: „Ja, ich bin wütend.“
- Wir können auch nicht sehen, dass unser Partner faul ist. Wir können lediglich sehen, dass er/sie auf der Couch liegt und fernsieht.
- Wir können nicht sehen, dass unser Kind lieb ist. Wir können nur sehen, dass es etwas tut, worum wir ihn/sie gebeten haben.
- Wir können nicht sehen, dass unser Bruder egoistisch ist. Wir können nur sehen, dass er nicht das tut, worum wir ihn gebeten haben.
Wenn wir nicht erkennen, dass wir in einer urteilenden, bewertenden oder interpretierenden Gedankenschleife stecken, ist der Weg hin zu Ärger und Wut quasi vorprogrammiert, weil es unsere Bewertungen, Interpretationen usw. sind, die diese Gefühle hervorrufen.
Viele Familien kämpfen mit dem Alltagsstress, mit Verhaltensweisen der Kleinen, die als anstrengend empfunden werden und mit den eigenen Bedürfnissen, die oft zu kurz kommen (Schlafmangel, Mangel an Zeit für sich selbst, etc.). All das führt manchmal zu kriegsähnlichen Zuständen im Familienleben, die alle Beteiligten leiden lassen und Eltern zu Verhaltensweisen veranlasst, die gerade bei Kindern häufig Schäden an der Seele anrichten. Wenn du mehr zum Thema Wutbewältigung wissen möchtest und lernen willst:
Quelle dieses Beitrages: Liebevolle Familie / Gewaltfreie Kommunikation