Alme oder Ägyptische Märchen
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Alme oder Ägyptische Märchen
Author Benedikte Naubert
Eingang
Wer kennt nicht die Alme [Fußnote] der Ägypter? – Ihr Völker des Nils, und ihr, Bewohner der fernen Inseln, die ihr etwas von ihr vernahmt, höret ihren Ursprung.
Ich war die Tochter des weisen Sopher, und mein Name ist Almé Rusma. Ich rede zu euch von vergangenen Zeiten. Mich drückt die Last der Jahre. Wenn du, o Volk des Nils, und ihr, ihr Jungfrauen der Isis, die ihr es nicht unwert seid, meinen Namen zu führen, diese Blätter lesen werdet, so wird die Tochter des weisen Sopher nicht mehr sein, und die schöne Rusma, die Gemahlin des königlichen Menes von Oxirynchus, ist dann längst hinabgewallt auf den Fluten des schwarzen Sees zu den Wohnungen der Toten.
Sopher Ben Helion, den ich als Vater ehrte, ungeachtet er wahrscheinlich nur der Pfleger meiner verlassenen Kindheit war, lebte mit mir zu Bubastus in dürftiger Dunkelheit. Jedermann kannte ihn unter dem Namen des weisen Sopher, viele kamen seinen Rat, seinen Unterricht zu suchen, aber keiner lohnte ihm nach der Wichtigkeit der Gabe, die er von ihm erhalten hatte, auch war Sopher sehr bedenklich, Belohnungen anzunehmen.
Als einst ein großer König kam, und die Stadt belagerte, darin Sopher lebte, da ward es ihm kund, daß in derselben ein armer weiser Mann sei, der die Stadt retten könne mit seiner Weisheit: da sagte er den Bürgern an, er wolle friedlich von ihren Mauern ziehen, so sie die Stimme des Weisen hören, und ihr gehorchen würden. Sie kamen zu dem weisen Sopher, sie hörten seine Stimme, sie gehorchten ihr; der König hob die Belagerung auf, aber, indem er befriediget von dannen zog und die Bürger gerettet waren, schmachtete Sopher, durch den alles dieses geschah, nach wie vor, unbelohnt in seiner Dunkelheit, auch wollte er nicht aus derselben hervorgezogen, auch wollte er nicht belohnt sein. Seine Weisheit machte, daß er die Lasten der Armut nicht fühlte, und beklagte er sich je über dieselben, so geschah es um meinetwillen. Ich war schön, war erst achtzehn Jahr; Sopher hatte das gewöhnliche Ziel des menschlichen Lebens schon längst zurückgelegt; was sollte aus mir werden, wenn er hinüber ging in die Wohnungen der Seligen und mich zurückließ, in einer Welt, die ich nicht kannte, und vor deren Fallstricken nur meine Tugend mich schützen konnte; ein schwacher Schutz, wenn nicht schirmende Weisheit, oder Macht und Ansehn ihr zur Seite steht.
"Meine Tochter," sagte der weise Sopher zu mir, als er mich den Tag vor seinem Tode näher zu seinem Lager rief, an dessen Füßen ich schon mehrere Nächte verweint hatte, "Almé Rusma! Erbin künftigen glänzenden Glücks, und jetzt so elend! was soll ich dir sagen, deine Tränen zu trocknen? Soll ich dir die Geschichte meines eigenen Lebens erzählen, das, ob es sich gleich jetzt in Dunkelheit endigt, doch Szenen voll Macht, Freude und Hoheit in sich schließt, auf die ich im Anfang meiner Tage nicht rechnen konnte. – Zu lang würde diese Geschichte für meine wenigen gezählten Augenblicke, zu angreifend für meine geschwächten Kräfte sein; ich bitte dich, Almé, schenke sie mir! Begegnen wir uns einst, dort in jenen Gegenden des Lichts, wohin ich gehe, so wird es Zeit genug sein, dich von Dingen zu unterhalten, die dir jetzt unglaublich dünken würden. Selig wird uns dort der Rückblick auf unsere vergangenen Schicksale machen, und der Schluß all unserer Betrachtungen wird sein: Gut war, was uns hier begegnete! Wir trauerten nie ungetröstet! Der Nacht folgte allemal der Tag, und einem kummervollen Leben machte der Wink des lächelnden Engels ein Ende, der jetzt mir nun sichtbar zu den Füßen meines Lagers steht. Nimm diesen Trost, er ist ein Strahl der Ewigkeit, den ich dir aus jenen bessern Regionen herüberhole."
Eine Rede, wie diese, war wenigstens nicht gemacht, mich im gegenwärtigen Kummer aufzuheitern. Der Gefangene, welcher im Begriff ist, die Fesseln abzulegen, spricht freilich aus einem Tone, den sein im Kerker zurückbleibender Gefährte, welcher noch obendrein das nahe Scheiden seines letzten Freundes betrauert, nicht zu fassen vermag.
"Almé," begann Sopher in der Nacht, die diesem Tage folgte, "sind deine Thränen noch nicht getrocknet? Bedenke doch, daß ich lang genug gelebt habe. Bestreite doch nicht der Natur weißt nicht, wie viele Jahre dein Vater zählt! Als Philadelphus [Fußnote] jene Weisen aus Palästina rief, die Alexandrinische Büchersammlung mit der Übersetzung der ältesten Dokumente der Menschheit zu bereichern, da war ich, als Knabe, unter ihrem Gefolge. Als [Fußnote] Amrou, der Feldherr des Kaliphen Omar, Alexandrien eroberte, und den unschätzbaren Schatz der menschlichen Weisheit zerstörte, den ich durch acht Jahrhunderte hatte erwachsen sehen, und sammeln helfen, da fühlte ich erst das allmählige Abnehmen jugendlicher Kräfte. Es ist in diesen darauf folgenden achtzehn Jahren, da du an meiner Seite lebtest, schnell mit mir bergab gegangen. Die Mittel, welche mir so lang mein Leben fristeten, wurden von mir auf die Seite gesetzt, und nun muß ich sterben! Dünkt es dir, daß dies zu früh geschieht?"
Ich fand die Dinge, die mir Sopher sagte, unglaublich, oder vielmehr, ich würde sie für unglaublich gehalten haben, hätte ich damals für etwas anders Gefühl gehabt, als für meinen Schmerz. Meine schwimmenden Augen ruhten auf der Hand des Weisen, welche die meinige sanft drückte. Nur zuweilen blickte ich auf, um das ehrwürdige Gesicht noch einmal zu sehen, das nun bald durch die Schatten des Todes sollte entstellt werden.
Jetzt ruhte noch die Heiterkeit der sinkenden Sonne am Abend eines schönen Tages auf denselben. Sophers Augen strahlten Freude, seine Seele schien in seliger Erwägung der Vergangenheit verloren.
"Es ist sonderbar," sagte er nach einem langen Stillschweigen, "wie jetzt auch die trübsten Tage meines Lebens Spuren von Herrlichkeit in meinen Augen haben! – Es war eine fürchterliche Szene, da Amrous Wut, zuletzt auch das Haus, welches die alten Ptolemäer den Wissenschaften geweihet hatten, den Flammen opferte. Die Söhne der Weisheit, die ihre beständige Wohnung bei der unerschöpflichen Quelle des Wissens hatten, wurden von der überhand nehmenden Glut aufgescheucht; so zerstreut der Wind aus der Wüsten die Vögel der Nacht, die in den Ruinen von Theben hausen. Ich war mitten unter den fliehenden Weisen. Jeder von uns rettete das Buch, das er, nach eingeführter Sitte des Orts, eben auf seiner Zelle verwahrte; auch ich rettete das meinige. Du wirst es, mit Anmerkungen und Zusätzen von meiner Hand vermehrt, in meiner Verlassenschaft finden; es ist nicht so, wie ich es gewählt haben würde, sondern wie es das Gesetz, das den Weisen auflegte, alle Bücher der großen Sammlung nacheinander zu durchlesen, diesen Tag eben in meine Hände geführt hatte.
Die Flammen wollten mir meinen Raub bestreiten. Dreimal entfiel er mir im Fliehen mitten in die Glut, und dreimal rettete ich ihn. Dieses war ein Tag, da ich noch ein größeres Kleinod retten sollte. – Mit unvergänglicher Herrlichkeit bekrönt das Glück, das mir damals geschenkt wurde, einen der schwärzesten Tage meines Lebens, nie kann ich den Verlust, den ich an demselben erlitt, ohne seinen Gewinn denken; er erheitert noch meine letzten Augenblicke diesseit des Grabes. – Wisse, der Tag des Alexandrinischen Brandes gab mir dich, meine Almé! – Doch hiervon bin ich dir umständlichere Nachricht schuldig! – Morgen, mein Kind, morgen! – Jetzt bin ich zu matt, und meine Augen schließen sich zu unwillkürlichem Schlummer.
Der weise Sopher schloß die Augen, um sie nie wieder zu öffnen. Des andern Morgens weinte ich trostlos bei seiner Leiche. Doch nein, nicht trostlos! Was hätten mir die Lehren des Weisesten unter den Menschen genützt, hätte ich bei seinem Grabe verzweifeln wollen? Hier lag mir es ob, Proben abzulegen, daß die unglückliche Rusma der Liebe und des Zutrauens ihres Vaters nicht unwürdig war. O es war die strengste Probe meines Lebens! Ihr, die ihr in der Folge hier und da Spuren von Stärke und Standhaftigkeit in Almés Betragen zu finden meinen werdet, setzet sie tief unter jene Anstrengung, die mir damals das Leben erhielt.
Mit dem Grame um meinen Verlornen verbanden sich bald Sorgen um die Mittel, mein Leben hinzubringen; doch dieses Leben war mir so gleichgültig, daß ich mich weniger um dasselbige bekümmerte, als um den Unterhalt einer Person, die bisher meine und Sophers Leidensgefährtin gewesen war, und die ohne mich ganz verlassen gewesen wäre. Diese geliebte, mir nach Sophers Tode doppelt unentbehrlich gewordene Person war nur eine Sklavin, doch dies verminderte nicht ihren Wert in meinen Augen. Iphis war meine Freundin, war die erste Pflegerin meiner Kindheit gewesen, ich hatte ihre Milch getrunken, wie hätte ich für sie nicht die Gefühle einer Tochter hegen sollen?
Ich musterte mit ihr des weisen Sophers sparsamen Nachlaß, und verweilte bei jedem Teil desselben, das Spuren seines Andenkens trug, mit dankbaren Tränen. Nach Abzug einiger dringenden Schulden, besaß ich, außer dem notwendigen Hausgerät und wenigen Goldstücken, nichts, als jenes Buch, dessen mein sterbender Vater in seinen letzten Augenblicken gedachte, und einen goldnen Gürtel, welcher von einigem Wert sein mochte, und den ich, um mir und meiner Mutter, diesen Namen gab ich der treuen Iphis am liebsten, ein bequemeres Leben zu verschaffen, zu verkaufen beschloß.
Iphis weigerte sich, als ich ihr dieses Geschäft auftrug, es auszurichten. Laß dieses Kleinod unsere letzte Zuflucht sein, sagte sie. Es können Vorfälle kommen, wo wir außerordentlicher Hilfe nötiger bedürfen, als jetzt. Haben nicht wir beide arbeiten gelernt? Ist nicht meine Rusma Meisterin in allerlei künstlichen Geweben? Übertrifft sie nicht selbst mich, ihre Lehrerin, in dieser Kunst? Laß uns arbeiten, Almé, und auf die Hilfe der Vorsicht hoffen, bis bessere Zeiten erscheinen.
So arbeiteten wir denn, Iphis und ich. Wir lebten von unserm Verdienst, welcher klein war, weil man die armen Künstlerinnen, sie mochten leisten, was sie wollten, immer kärglich bezahlte. Iphis besorgte die Einnahme und Ausgabe, sie besorgte unsere kleine Wirtschaft. Ich kam vom Morgen bis Untergang der Sonne nicht von meinem Weberstuhle; aber des Abends, nach dem vierten Gebet, ruhte ich, wie mir die Erziehung meines Vaters das zur Religionspflicht gemacht hatte, und die Stunden der Nacht, bis uns der Schlaf die Augen zudrückte, wurden dem Lesen jenes Buchs gewidmet, welches der wichtigste Teil von Sophers Verlassenschaft war.
Es enthielt eine Menge für uns wichtiger und unterhaltender Geschichten. Iphis und ich hatten noch wenig in der Welt gesehen und gehört, vieles war uns neu, manches konnte uns belehren und gefallen, was Andern gleichgültig und entbehrlich sein möchte. Doch, von dem Wert und Unwert dieser Dinge in der Folge; ich bin Euch noch die Schilderung jenes Augenblicks schuldig, da ich es zuerst wagte, die heiligen Blätter zu entfalten, welche Sophers Hand so oft berührt, auf welche er so viel Wert gelegt hatte, daß er sie mir ausdrücklich als sein Vermächtnis namhaft machte. Euch, wie ihr gewohnt seid, die Kostbarkeit des Geschenks nach der Würde des Gebers zu berechnen, euch, die ihr an der welkenden Blume, die eine liebe Hand einst für euch brach, noch den letzten Hauch scheidender Liebe verehrt, euch darf ich nicht sagen, wie mir zu Mute war, als ich die ganze Kostbarkeit von Sophers Verlassenschaft kennenlernte, als ich wahrnahm, daß Worte, von seiner Hand geschrieben, an mich gerichtete Worte, die ersten Seiten jenes teuern Buches einnahmen.
In heiliger Bilderschrift geschrieben, die Sopher mich kennen lehrte, enthielten sie folgendes:
"Almé Rusma! liebendste und geliebteste aller Töchter! kein Wort an Dich um Gefühle, die Du nun verbannen mußt, wiederzuerwecken! Ich bin glücklich, und Du wirst glücklich sein, wenn Du lebst, wie Sopher lebte, noch glücklicher, wenn du alle Klippen vermeidest, an welchen sein Glück und sein Gefühl der Pflicht gegen den Urheber unsers Daseins scheiterte. Durch Künste, welche zwar nicht unerlaubt, aber doch, meiner jetzigen Empfindung nach, tadelnswert, und unserm wahren Besten hinderlich sind, entzog ich mich mehrere Jahrhunderte dem allgemeinen Loos der Sterblichen; durch eben dieselben ward Macht, Reichtum und Hoheit mein. Ich mißbrauchte sie nie, aber, ich muß Dir gestehen, ich fühlte mich glücklicher und besser, sobald ich ihnen entsagte, und den Entschluß faßte, nicht mehr von den Gütern des Lebens an mich zu reißen, als ich unmittelbar aus der Hand der Vorsicht nehmen konnte. All die Jahre, seit ich Dich besaß, sind für mich Jahre freiwilliger Beraubungen gewesen. Du begreifst wohl, daß ich die Macht, Dich und mich eigenmächtig zu beglücken, nicht verloren habe, da ich –
(Hier eine selbst für mich ganz unerklärbare Stelle in Sophers Handschrift) –
Du siehst also ein, daß es mir leicht wär, Dich in Reichtum und Überfluß zu hinterlassen, aber ich bin überzeugt, daß das Loos, so wie es Dir die Vorsicht gönnt, besser ist, als das, welches ich Dir durch meine Wissenschaften erkünsteln könnte. Bleibe in Niedrigkeit und Armut, bis Gott Dich zu einer glänzenden Rolle ruft, die Wege dahin sind Klugheit und Tugend; ich habe Dir hierüber keine besondere Regel zu geben; Du hast sie alle schon bei meinem Leben erhalten.
Dieses Buch halte wert, als meine letzte Gabe, es wird Dir in trüben Stunden Unterhaltung, und in der Folge vielleicht Vorteil, vielleicht Glück bringen. Soll ich eine Bitte an Dich tun, (sie ist kein Gesetz), so ist es diese: bleibe bei Lesung dieser Blätter den Regeln treu, welche die Alexandrinischen Weisen zu beobachten pflegten. Überzeugt, daß bei Schriften, wie diese, nichts zufällig, nichts überflüssig sei, selbst die Ordnung nicht, in welcher die Worte des heiligen Schriftstellers aufeinander folgen, rissen sie nie einen Teil aus dem Zusammenhange des Ganzen; so tue auch Du. Du magst die Geschichten dieses heiligen Buchs lesen oder andern vortragen, so entferne Dich nie von der Folge, in welcher sie aneinander gereihet sind, Du wirst in der Treue gegen diesen Rat vielleicht dereinst Dein Glück finden."
Nachdem ich diese teuern Worte gnugsam mit meinen Tränen benetzt, oft genug das Buch, welches sie enthielt, in die Hand genommen hatte, ohne imstande zu sein, etwas weiter aus demselben zu lesen, als eben diese Denkmale der zärtlichsten Liebe, in welchen ich allein Befriedigung und Trost zu finden glaubte, fiel mir auf einmal der Gedanke aufs Herz, es fehle ihnen doch etwas, das zu meiner Beruhigung notwendig sei. – Der heftigste Schmerz muß endlich andern Empfindungen, andern Vorstellungen Platz machen, und mir war es wohl nicht zu verdenken, daß ich, da ich oft Ursach fand, mich nicht für die wirkliche Tochter des weisen Sopher zu halten, wegen der Unwissenheit trauerte, in welcher er mich über meine Geburt gelassen hatte. O nur ein Wort, seufzte ich oft, wenn ich jene Schrift wieder und wieder überlesen hatte, nur ein Wort, mich hierin zu unterrichten! Unglückliche Almé Rusma! Morgen, versprach er dir Nachricht über die wichtigste Angelegenheit deines Lebens? – O warum mußte dieses Morgen nie kommen? warum mußte der Engel des Todes die Worte, die Sopher dir zu sagen hatte, mit dem Schweigen des Grabes versiegeln?
Iphis sah meine Unruh und meine Tränen, aber sie konnte sie nicht stillen. Zwar war sie seit den frühesten Tagen meines Lebens um mich gewesen, aber sie wußte von dem Anfang desselben nichts weiter zu sagen, als daß Sopher sie vor achtzehn Jahren auf dem Sklavenmarkt zu Alexandrien gekauft, und ihr das Geschäft aufgetragen hatte, meine Amme zu werden. Ach, setzte sie hinzu, ich hatte vorher den Sohn der königlichen Termuthis von Oxirynchus mit meiner Milch genährt, ich hatte gehofft, ewig in dem Hause zu bleiben, in welchem ich als Sklavin geboren worden war, in welchem ich so lang gelebt hatte, ohne je meine Fesseln zu fühlen; – aber die Grausamkeit der Barbaren, welche Alexandrien eroberten, warf das Glück der Großen und der Kleinen durcheinander, sie zertrümmerte auch das meinige. Das Haus meiner erhabenen Gebieterin ging in Feuer auf, seine edeln Bewohner wurden zerstreut, seine Schätze ein Raub der Feinde, und von den Sklaven ließ man nur diejenigen leben, um sie an andere Herren zu verkaufen, welche durch Jugend, Schönheit, Stärke, oder andere Vorzüge, einigen Gewinn versprachen. Der Himmel wollte, daß ich unter diesen war. Das Glück, welches mich nicht ganz verlassen wollte, gab mir an dem weisen Sopher einen guten Herrn, und an der kleinen Almé, die er in meine Arme legte, einen reichen Ersatz dessen, was ich verloren hatte.
Der Weise brachte uns nach Bubasius, in das Haus, welches wir noch jetzt bewohnen. Sopher war damals noch, dem Ansehen nach, ein Mann in seinen besten Jahren. Ich glaubte, er habe seine Gattin in jenen Tagen des allgemeinen Mordens verloren, und hielt euch lange Zeit für seine Tochter, bis nach und nach Umstände hervortraten, welche mich hierin zweifelhaft machten; wem ihr aber das Leben zu danken habt, das ist allein Gott bekannt, der einst alle Geheimnisse ans Licht bringen wird. Nie habe ich mich unterstanden, den Verstorbenen um Aufklärung der Zweifel zu bitten, welche zuweilen in mir rege wurden. Ihr kennt das Ehrfurcht gebietende, Stillschweigen auflegende Wesen, welches ihm eigen war; auch dachte ich, immer noch Zeit zu Aufklärungen dieser Art übrig zu haben, denn ob ich gleich gestehen muß, daß der weise Sopher in diesen achtzehn Jahren auf eine wundersam schnelle Art alterte, so traute ich ihm nie seine acht– bis neuntehalbhundert zu, die er wirklich auf sich hatte, und glaubte also, immer noch die Fragen, die ich diesseit des Grabes an ihn zu tun hatte, versparen zu können.
So sprach meine treue Iphis, und ich kann nicht sagen, daß ihre Worte mir besondern Trost gaben. Indessen, es ließ sich in dieser verborgenen Sache nichts tun, ich ergab mich nach und nach in alles, was das Schicksal über mich verhängt hatte, ich kehrte zu meiner Arbeit zurück, welche eine Zeitlang durch die verneute Trauer unterbrochen worden war, und die Abende widmete ich dem Lesen jenes Buchs, dessen Geschichten ich so oft wiederholte, daß ich endlich die meisten davon auswendig wußte. Ich konnte meine Zuhörerin nicht mehr ergötzen, als wenn ich dieses nützte, und, statt zu lesen, deklamierte, doch blieb ich auch hierin den Lehren meines Pflegevaters treu und folgte in meinem Vortrag immer der Ordnung des Buchs, ob ich gleich die Ursach, warum ich das mußte, nie einsehen konnte. Die darin enthaltenen Geschichten hingen auf keine Art zusammen, und erst in später Folge begriff ich es, und auch ihr, ihr Almés künftiger Zeiten, werdet es vielleicht begreifen, warum es für mich von Wichtigkeit war, nicht das Erste zu dem Letzten, noch vielweniger das Letzte zu dem Ersten zu machen.
Wir lebten fast ein Jahr auf diese Art, einsam, doch nicht traurig, sparsam, doch nicht dürftig. Meine Wünsche waren eingeschränkt, und schweiften sie ja einmal zu sehr in ferner ungewisser Zukunft umher, so wußte sie die weise Iphis bald in meine kleine Sphäre zurückzurufen, und mich mit der dunkeln Stelle zufrieden zu machen, die mir die Vorsicht angewiesen hatte.
Doch so sollte es nicht bleiben. Unfälle drohten, die verlassene Taube aus ihrer einsiedlerischen Wohnung aufzuscheuchen. Ehe ich euch hievon das Nötige sage, so erlaubt mir, einige kleine Anmerkungen über den Zustand des Landes, das ich bewohnte; sie werden nötig sein, euch das Künftige deutlich zu machen.
Mein Vaterland, Ägypten, war schon seit vielen Jahrhunderten das nicht mehr, was es zu den Zeiten unserer uralten Könige gewesen sein mochte. Die Hoheit der Pharaonen, und die noch größere der Priester der göttlichen Isis, war unter der Herrschaft der Perser, der Römer, und jetzt der Sarazenen längst verlorengegangen, doch lebten von den alten Herrschern der Völker am Nil, noch im Verborgenen, zahlreiche Nachkommen, hier in wohlerhaltener Hoheit und Größe, dort in vergessener Dunkelheit. Auch die Geheimnisse unsrer Religion waren keinesweges verloren. Wer noch heutzutage [Fußnote] den gänzlichen Verlust des alten Ägyptens in dem neuen betrauert, der vermißt die Luft, welche ihn umgibt, und sucht die Sonnenstrahlen, welche ihn umleuchten. Profanen wird dies ein ewiges Geheimnis bleiben, nichtsdestoweniger aber ist es wahr. In dem sichtbaren Staate existiert ein unsichtbarer, die Glieder desselben kennen sich bei ihren alten Namen, nicht bei denen, welche sie vor der Welt führen. Isis und Osiris haben keinen ihrer Diener verloren, und werden ihre Geheimnisse jetzt etwas besser verstanden, kennen wir alle jetzt dasjenige, was sonst nur in dem Innersten ihrer Tempel gelehrt wurde, so ist das nicht Änderung, nur Besserung dessen, was unsere Vorväter Religion nannten.
Ich war von dem weisen Sopher in noch bessern Grundsätzen erzogen, als viele der übrigen. Sopher hatte ehemals im Tempel zu Jerusalem, hatte in spätern Jahrhunderten zu Antiochia und zu Rom Kenntnisse von der besten Art der Gottesverehrung gesammelt, die er mir ganz eigen gemacht hatte. In meinem Munde war der Gebrauch manches Wortes, dessen ich mich auch in diesen Blättern bedienen werde, nur Symbol der Wahrheit, das ich bedurfte, um andern verständlich zu sein.
Sopher hatte mich gelehrt, mich nicht von der Weise des Landes auszunehmen, in welchem ich lebte. Mein gegenwärtiger Stand befahl mir, behutsam zu sein, und so geschah es, daß ich mich zuweilen bequemen mußte, beim öffentlichen Gebet zu erscheinen, so gut die Übermacht der Barbaren uns diese Übungen der Andacht gelassen hatte. Sie waren die einige Veranlassung für mich, dann und wann meine kleine Wohnung zu verlassen.
Mein Unglück waren diese sparsamen Wallfahrten. Das höchste Wesen wollte mich vielleicht belehren, wie mißfällig ihm ein Dienst sei, an welchem nur unser halbes Herz teilnimmt. Lasset mich geschwind über diese Stelle meiner Geschichte hinwegeilen; die Versuche des Lasters, sich unserer zu bemeistern, sind uns keine Ehre.
Ich war schön. So dicht verschleiert ich auch allemal unter dem Volke erschien, so war ich doch unglücklich genug gewesen, die Augen eines kühnen Bösewichts auf mich zu ziehen. Noch war Gerechtigkeit im Lande. – Ägyptens neue Beherrscher hatten schon in dem ersten Jahrzehnt einsehen gelernt, daß die edeln Völker des Nils sich nicht wie Sklaven behandeln ließen. Sie hatten ihnen eine Polizei gegeben, welche das, was frei war, bei leidlicher Freiheit erhielt, und selbst die Bedrückung der Leibeigenen einschränkte. Unter einer Regierung, die doch wenistens den Schein der Gerechtigkeit beizubehalten suchte, war es meinem Verfolger unmöglich, sich meiner durch Gewalttat zu bemächtigen. List und Überredungen waren schon vergebens versucht worden. Noch ein Mittel war übrig: Man mußte die Gerechtigkeit auf die Seite der Bosheit zu bringen suchen. Ich ward wegen einer Schuld verklagt, welche weder Sopher noch ich jemals gemacht hatten, gleichwohl war sie vor den Augen der Richter hinlänglich erwiesen. Ich sollte die Summen zahlen, sie abschwören, oder meine Freiheit für dieselben hingeben; das erste konnte ich nicht, das andere verbot mir meine Religion, und, o Gott! das dritte? – Was soll aus der Unschuld werden, wenn sie dem Verbrechen leibeigen gemacht wird!
"Iphis," sagte ich, nachdem ich die Härte meines Schicksals mehrere Tage beweint hatte, und nun mich schnell, wie aus einem schweren Traum, emporriß. "Wo waren meine Gedanken, daß ich mich so ganz der Verzweiflung überließ! Bin ich denn so arm, daß ich die wenigen Goldstücke, die mir nötig sind, um meine Freiheit und Tugend zu sichern, nicht aufbringen sollte?"
"Ich hoffe, das seid ihr nicht," antwortete Iphis, indem sich auch ihr Gesicht erheiterte. "Ihr besitzt etwas, dessen Wert euch retten könnte, so gering er auch sein mag!"
"Du errätst meine Gedanken, Liebe! – Ich hatte den goldnen Gürtel ganz vergessen! Geh, Iphis, nimm, verkaufe ihn! Welche Törin war ich, dies nicht eher zu erwägen! – Wohl recht hat ihn deine Sparsamkeit auf diesen Fall aufbehalten!"
"Den Gürtel, Almé Rusma? Warum eben ihn?"
"Besitze ich etwas anders?"
"Aber sein Wert ist klein, gegen die Forderung eures Schuldners!"
"Und du pflegtest mir seine Kostbarkeit immer so hoch anzurechnen?"
"Kostbar? – Je nun ja, kostbar mag er wohl seyn. – Aber ihr werdet sehen, daß ihr kaum die Hälfte des Erwarteten für ihn bekommen werdet."
"Geh, Iphis, verkaufe ihn! Dies sind Ausflüchte, die dir dein gutes Herz, welches mich nicht gern des letzten Schmucks beraubet sehen will, eingibt; ein schwaches weibliches Herz, welches zu sehr an Kleinigkeiten hängt, und die Größe meiner Gefahr nicht zu schätzen weiß!"
Iphis trocknete ihre Thränen, nahm das Kleinod, und ging. –
In der Tür kehrte sie noch einmal um. "Almé Rusma," sagte sie, "ich habe euch um eine Gnade zu bitten."
"Gnade, von deiner Tochter? – Was wär wohl auf der Welt, das dir Almé versagen würde, wenn sie nicht so arm wäre?"
"Schenkt mir meine Freiheit!"
"Fühlte Iphis je, daß sie eine Sklavin war? Mich dünkt, Sopher hat der Erzieherin seiner Almé schon die Ketten der Dienstbarkeit abgenommen."
"Ich halte mich nicht für frei, bis auch ihr mich dafür erklärt."
"Aber, zu welchem Ende? – Will Iphis mich verlassen?"
"Ich hoffe, Euch als Eure Freigelassene besser dienen zu können."
"O Iphis, schrie ich, indem ich sie an meine Brust drückte, "du durchbohrst mein Herz! Verzeih! Verzeih! daß ich das Wort: sey frei! nicht längst zu dir sagte! Ich hielt es für unnötig! ich glaubte dich so frei, als ich selbst bin. Siehe, ich löse deine Ketten, die nur du fühltest, in diesem Augenblicke auf die feierlichste Art – Sei frei! Aber entziehe mir nicht deine Dienste, die Dienste gleicher Freundschaft! Was sollte aus mir werden, ohne dich?"
"Verlangt Almé einen Beweis, daß ich nur für sie lebe, und ewig leben werde?" fragte sie mit unterdrückter Bewegung?. – "Wohlan, sie soll ihn bald erhalten!"
"Geh, besorge den Verkauf des Gürtels, der dir so schwer zu werden scheint!"
"Nun wohl – ich gehe! wünschet mir Glück zu meinen Geschäften!"
Und Iphis ging, ich sah ihr nach, und ahndete nichts von ihrem Vorhaben, welches mir doch ihr letztes Gespräch so deutlich vor Augen legte. Welcher Zauber ist 's, der zu Zeiten die Wahrheit, die dicht vor uns steht, unserm Blick entzieht? O Iphis! hätte ich deine Entschlüsse ahnden können! – Doch, wär ich imstande gewesen, ihre Ausführung zu hindern? oder würde ich's auch nur gewollt haben, wenn mir alle Folgen jener Handlung heldenmütiger Liebe vorgeschwebt hätten, welche diese Treue im Sinn hatte?
Es ward Abend, es ward Nacht; Iphis kam nicht zurück. Ich zitterte vor dem Gedanken, ihr könne ein Unglück begegnet sein. Er verschlang ganz die Besorgnis um den kommenden Tag, welcher, in Rücksicht auf die Forderungen meines Verfolgers, mein Schicksal entscheiden sollte.
Der Morgen brach an, schon sah ich der Stunde entgegen, da ich, in Ermangelung eines Stellvertreters dieses Mal persönlich vor Gericht erscheinen und mein Endurteil erhalten sollte. – Ich stand am Gitter meines kleinen Hauses, wo ich schon seit Aufgang der Sonne meiner Iphis von neuem entgegengeweint hatte. – Ich sah einen Diener der Gerechtigkeit die Straße heraufkommen; seine Kleidung sagte mir seinen Stand, und mein klopfendes Herz, daß er zu mir wollte. Ich hatte keinen Sklaven, ihm die verschlossene Tür zu öffnen. Ich hüllte mich in meinen Schleier, und schwankte endlich selbst hinunter. Längeres Zögern hätte die Ungeduld des ungestüm Anklopfenden erregen, und mich noch unglücklicher machen können; eine in Furcht gejagte Seele besorgt von jeder Kleinigkeit Erschwerung ihres Schicksals.
"Ihr laßt einen guten Boten lang warten," rief er, indem er mir durch die ängstlich nur halb geöffnete Tür einen Beutel, ein Paket und einen Brief zusteckte. "Wenn ihr in den Diensten der Almé Rusma seid, so gebt ihr dieses eilig, sie würde euch euer Säumen schlecht danken."
Der Bote, welcher mich nicht kannte, verschwand, ich zog die Tür nach ihm zu, und hatte kaum so viel Kraft, bis zum nächsten Steine in meinem Hause zu wanken, und das, was ich in Händen hielt, zu untersuchen. Eine Ahndung von glücklicher Wendung in meiner Sache schwebte mir vor, aber ich war, in dem gegenwärtigen Augenblicke, durch streitende Gemütsbewegungen so mitgenommen, daß ich weder Glück noch Unglück ertragen konnte. O Iphis! Iphis! rief ich, wo bist du, mich zu unterstützen?
Ich fand, als ich mich ein wenig gefaßt hatte, in dem Beutel 30 Goldtaler, in dem Paket, o Erstaunen! meinen Gürtel, und auf dem Blatte folgende Worte:
"Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Almé Rusma, Hassan Ebn Reschids Schuldnerin, hat, durch Zahlung der geforderten Summe, ihn und die Gerechtigkeit völlig befriedigt. Nach Abzug der Gebühren für diejenigen, welche sie in diesem Geschäft gebraucht hat, ist vom Verkauf ihrer Sklavin noch die Summe von 30 Goldtalern übrig geblieben, welche ihr, nebst einem ihr zugehörigen Gürtel, hiemit eingehändiget worden."
Verkauf meiner Sklavin? schrie ich, ohne ganz zu Ende gelesen zu haben, Verkauf meiner Sklavin? – Was ist das? – O Iphis! Iphis! sollte es möglich sein? – Ist dies dein Werk? Hast du deine Almé so verlassen können? – O gewiß! gewiß! Diese Treue hat sich für mich aufgeopfert! – Grausame! wie hast du mich getäuscht! – War dies die Ursach, warum du deine Freiheit fordertest? – Gab es kein andres Mittel, mich zu retten, als den Verlust meiner besten Freundin? – Ach du vergaßest, daß ich ohne dich allein in der Welt bin. Was soll mir das Leben ohne dich? Was sollen mir Vorteile, die ich so teuer erkaufen mußte? Der nächste Tag wird mich sie wieder verlieren lassen. Ein einiger Schritt in die Welt erneuert die Bande, die du brachst, indem du dir selbst Fesseln anlegtest. Himmel! Iphis in Fesseln! welch ein Gedanke! Diese Unbarmherzige war zu gewissenhaft, sich mir eher zu entziehen, bis ich sie freigesprochen hatte, aber die Verbindlichkeiten der Freundschaft hielten sie nicht; sie trug Bedenken, mir den Besitz dieses elenden Gürtels zu rauben, dessen Wert mich wohl auch hätte retten können, aber meine Freundin raubte sie mir, ohne Rücksicht auf das, was ich in ihr verlor.
Ich weinte und klagte fort, jeder Augenblick ließ mich mein Unglück tiefer fühlen. Der Schmerz um Iphis verschlang die Freude, die ich über meine Rettung hätte empfinden sollen.
O Gott! schrie ich unablässig, was aus ihr geworden sein mag? Welche Ketten sie vielleicht in diesen Augenblicken trägt? O Iphis, Iphis! ich sollte dir danken, auch wallt heiße Dankbegier in meinem Busen, aber du ließest mich Freiheit und Überfluß, die du mir erwerben wolltest, zu teuer bezahlen! Die Vorwürfe, die ich dir zu machen habe, ersticken in mir die Bewunderung deiner Heldentreue.
Der Verlust der besten und edelsten aller Sklavinnen hatte mich tausenderlei Unbequemlichkeiten ausgesetzt. Nicht die kleinste davon war, daß ich jetzt selbst in die Welt gehen und mir die Bedürfnisse meines Lebens besorgen mußte; meines einsamen schutzlosen ungetrösteten Daseins zu geschweigen. – Doch, sollte diesen Umstand die treue Iphis übersehen haben, als sie mir helfen wollte? – Der Erfolg wird es lehren.
Ich kam eines Abends von meinen auswärtigen Geschäften nach Hause, und ich hatte diesen Tag so viel Schwierigkeiten, so viel Unannehmlichkeiten bei denselben erfahren, daß ich fest entschlossen war, mein Letztes dran zu wenden und mir wieder eine Sklavin zu kaufen, welche mich der Gefahr entnähm, mich in der Welt zu zeigen. Meine Goldstücke, sagte ich zu mir selbst, und was ich etwas von Kostbarkeit besitze, müssen dieser notwendigen Ausgabe aufgeopfert werden. Gebe nur der Himmel, daß ich mir nicht mit schweren, für mich kaum erschwinglichen Kosten eine Verräterin kaufe. Unglückliche Almé! welche Gefahr, indem du dir eine ganz fremde Person zugesellst! wie leicht kannst du dazu kommen, das Verbrechen unter deinem Dache zu herbergen.
Ich verlor mich noch in diesen Gedanken, ich maß noch alle Regeln der Behutsamkeit ab, welche ich bei dem vor mir liegenden Schritte zu beobachten hatte, als ein neuer Auftritt meine Gedanken auf eine andere Seite lenkte. –
Ein heftiges Klopfen ward an meiner Tür gehört. Ich sah aus dem Fenster. Ein zierlicher Palankin, von Mauleseln getragen, hielt vor dem Hause; eine weiße Sklavin stieg heraus, und zwei Schwarze forderten mit dem Ungestüm, welches den Dienern großer Herren eigen ist, Einlaß.
Die Weiße erblickte mein Gesicht am Gitter, sie schlug den Schleier zurück, küßte die Erde und bat, indem sie sich aufrichtete, auf eine sehr höfliche Art, mehr durch Gebärden als Worte, ich möchte ihr den Zutritt nicht versagen.
Der Anblick einer Person meines Geschlechts machte mir Mut. Ich ging hinunter, ich öfffnete die Tür, aber ich trug Sorge, nur das junge Mädchen hereinzulassen. Verdrießlichkeiten mancher Art, von welchen ich im Vorhergehenden einige Winke gegeben habe, hatten mich behutsam gemacht. Es war mir natürlich, hier einen Aufsatz meines alten Verfolgers zu mutmaßen. Ich war einsam, meine Hütte lag in einem abgelegenen Winkel der Stadt. Gewalttat war möglich, und da sich nach dem Verlust meiner Iphis niemand gefunden hätte, der über meine Entführung hätte klagen können, so wär sie vielleicht verborgen, ganz gewiß aber ungestraft geblieben.
Almé Rusma, sagte die Fremde, indem sie den Saum meines Schleiers küßte. Die königliche Termuthis von Oxirynchus ladet Euch ein, einige Tage bei ihr auf ihrem Lustschlosse am Ufer des siebenarmigten Stroms zuzubringen! – Wir, Eure Sklaven, sind bereit, Euch demütig dahin zu begleiten, oder – (Hier erhob sie sich und trat nach der Tür zurück, deren Schlüssel sie faßte) – oder bedürfenden Falls, dafern Ihr Bedenken tragen solltet, der freundlichen Einladung zu folgen, Euch zu Eurem Glück zu nöthigen.
Die Rednerin mußte aus der Veränderung meiner Farbe beim Anfang ihres Vortrags, oder aus dem Unwillen, der aus meinen Augen flammte, gemerkt haben, was in meinem Herzen vorging, und daß sie hier nicht durch Bitten und Vorstellungen siegen würde. – In der Tat war auch der Fallstrick, den ich hier wähnte, meines Erachtens, so plump angelegt, daß ich doppelt zürnen mußte, auf diese Art angegriffen zu werden. So viel war gewiß, daß ich der Einladung dieser, wie ich meinte, erdichteten Dame nimmer gutwillig gefolgt sein würde, auch war ich sicher, daß nichts mich zwingen konnte, solange der Schritt rückwärts in meiner Gewalt blieb. Meine Hütte war armselig und klein, aber sie hatte Keller, hatte Falltüren, die mich meinen Verfolgern auf einmal aus den Augen gebracht haben würden, was auch hernach aus mir geworden sein möchte.
Die Fremde schien dieses zu wissen, oder zu mutmaßen, denn mit unglaublicher Schnelligkeit kam sie allem zuvor, was ich zu meiner Rettung hätte tun können. Die Tür war im Nu eröffnet. Die Schwarzen drangen hinein; sie bemächtigten sich meiner, hemmten meine Stimme mit einem kleinen Ball, den sie mir in den Mund stießen, warfen mich in den Palankin, die Sklavin setzte sich zu meinen Füßen, und nach einem kleinen Verweilen, welches meine Begleiter nutzten, hinauf ins Haus zu gehen und einige Sachen herabzuholen, ging die Reise fort.
Ich weinte sehr, auch schien ich 's Ursach zu haben. Meine Heimholung zu der königlichen Termuthis von Oxirynchus glich einem räuberischen Überfall auf ein Haar, und meine Gefährtin mochte mir das Gegentheil so oft versichern, als sie wollte, ich konnte über Vorstellungen, welche durch alles, was ich sah und hörte, bestätigt wurden, nicht Meisterin werden.
"Bedenket doch," sagte das junge Mädchen, dessen gute unschuldvolle Miene freilich jeden Gedanken an Betrug und Bosheit hätte vernichten sollen, "bedenkt doch, daß Ihr uns durch den Widerwillen vor dieser notwendigen Reise, den ich in Euren Augen las, selbst zu dieser Gewalttat genötigt habt. Bedenkt doch, wie viel Proben Ihr habt, daß Ihr Euch in Freundeshänden befindet. Hier ist der Schlüssel zu Eurer Wohnung, die man sorgfältig verschlossen hat. Hier sind einige notwendige Kleinigkeiten und das Buch aller Bücher, ohne welches man Euch diesen Weg nicht wollte machen lassen. Ich ließ sie in der Eil herabbringen, und selbst der Umstand, daß ich wußte, wo man diese Sachen finden konnte, sollte Euch lehren, – doch, mir ist verboten, mich weitläufiger hierüber zu erklären, und ich kann nichts weiter tun, als die Sache eurer eigenen Überlegung, den Schluß Eurem Verstande zu überlassen, den man meiner Gebieterin sehr groß geschildert hat. – Himmel, schöne Rusma! wär ich so klug wie Ihr, ich würde schon aus der Art, mit welcher sich die Dame, von welcher hier die Rede ist, ankündigt, Mutmaßungen schöpfen, die mich völlig befriedigen und es meinen Begleitern möglich machen würden, mich als eine freiwillige Besucherin der großen Termuthis zu behandeln. Mich jammern Eure gebundenen Hände, mich jammert Euer schöner Mund, welchem die fatale Hemmung so wehe tut, aber ich sage Euch, nichts wird Euch von dieser Pein befreien, als wahre, unerkünstelte Gelassenheit."
Ich dachte den Worten dieses klugen Mädchens in der Stille nach. In der Tat lag in den Dingen, auf welche sie mich aufmerksam machte, viel Grund zur Beruhigung. Der Name der königlichen Termuthis von Oxirynchus bezeichnete mir eine hohe Dame von altägyptischem Geblüt, die sich unter demselben keiner andern Person kundgeben würde, als einer solchen, welche sie als Nachkommin eines Geschlechts, als Anhängerin eines Glaubens kannte. Ich habe schon im Vorhergehenden gesagt, daß die alten Ägyptier, die unter der Herrschaft der Eroberer ihres Vaterlands noch ganz das waren, und bleiben wollten, wozu sie ihre Geburt machte, sich untereinander an Namen und Abzeichen kannten, die keinen Profanen bekannt wurden. Ebn Reschid, mein Verfolger, vor welchem ich bei diesem Abenteuer am meisten gezittert hatte, war in diesen Dingen gewiß unwissender, als irgend einer seiner Landsleute; er war ein vornehmer Araber, der sich erst seit wenigen Jahren unter den Ägyptiern niedergelassen hatte, und dieses edle Volk viel zu gering schätzte, als daß er sich um seine innersten Geheimnisse hätte bekümmern sollen.
Ich kann nicht leugnen, daß in diesen Betrachtungen viel Beruhigendes für mich lag. Meine Tränen hörten auf zu fließen, meine Gesichtszüge wurden nicht mehr durch die Spannung der Leidenschaft entstellt, meine Farbe kam zurück, und die Fremde, welche mir gesagt hatte, daß sie Nephtis hieß, schnitt lächelnd das seidne Band los, das meine Hände umschlang, und gab mir die Sprache wieder.
Ich brauchte sie zuerst, diesem guten Mädchen zu danken; mit ihr zu zürnen, wär mir in den leidenschaftlichsten Augenblicken unmöglich gewesen, man sah zu sehr, daß sie ungern tat, was sie tun mußte, und mir jede Kränkung gern erspart hätte.
Ich überhäufte sie mit Fragen, aber die Reihe, stumm zu sein, war nun an ihr, obgleich kein Ball ihre Rede hemmte. Ich erfuhr nicht, wer Termuthis war, deren Namen ich in der Tat einst schon gehört zu haben glaute; ich erfuhr nicht, woher sie mich kannte, was sie von mir verlangte, und wie lang mein Aufenthalt bei ihr dauern würde. Woher man etwas von dem Buche des weisen Sophers wüßte, und warum man für gut gehalten hätte, mir es mit auf die Reise zu geben, dies blieb mir ebenso verborgen, und ich hielt es endlich für gut, zu schweigen, und mich Gedanken zu überlassen, welche jede Langweile vertrieben, die mich außerdem auf einem Wege, wie der unsrige, wohl hätte befallen können.
Er zog sich durch die traurigen Gegenden jenseits des Sees Möris hin. Zur Rechten ließen wir die Begräbnisplätze und die Pyramiden von Osyse auf ihrer Anhöhe liegen, und lenkten uns gegen den Morgen dem Nil zu; doch lang dauerte es, ehe wir den Ort erreichten, wo sich mir alle Räthsel lösen sollten. Manche Stunde verschlich auf dem langsamen Zuge durch öde Gefilde, wo nichts mich unterhalten konnte, als mein Gedächtnis und meine Phantasie. Die Fabellehre meines Vaterlandes macht diese Wüsteneien zu einer Welt von Wundern, und der weise Sopher hatte mich in diesen Dingen so wohl unterrichtet, daß sich vor mir die Einöde mit den Göttern und Menschen der Vorzeit zu beleben schien, meine Phantasie glühte, und Nephtis schien durch das, was ich ihr von den Bildern mitteilte, die mich beschäftigten, sehr ergötzt zu werden.
"Ihr seid bewundernswürdig!" rief sie einmal über das andere. "Meine Gebieterin verlangt nicht ohne Grund nach Eurem Umgange. Man hat sie in der Beschreibung von Euch nicht getäuscht, ihr werdet sie und Euch selbst sehr glücklich machen."
Endlich langten wir vor einem prächtigen Gebäude an, dessen Mauern ein Arm des Nils umschlich, und das mir Nephtis als das Lustschloß der königlichen Termuthis von Oxirynchus ankündigte. Durch den weiten Marmorhof, welchen kollossalische Granitsäulen umringten, öffnete sich uns eine Aussicht in einen Garten oder vielmehr in eine meilenlange Lustgegend, welche alles in sich zu vereinigen schien, was die Kunst und die Üppigkeit der Großen in dem Lieblingslande der Sonne zusammendrängen kann.
Zur Seite des Wegs, den wir nach dem Hauptgebäude nahmen, rauschte eine Wasserleitung, die mit allem gezieret war, womit die Kunst ihre Werke zu verschönern weiß, und die, wie mir Nephtis sagte, die ober– und unterirdischen Bäder mit Wasser versorgte. Alles atmete hier Pracht und Überfluß. Im Vorhofe bewillkommten uns Heere von Sklaven, die weißer wie Schnee und schwärzer als Ebenholz waren, und von dem platten Dache des Hauses lachte uns ein Kranz schöner Mädchen entgegen, die, ob sie gleich wie Königinnen geschmückt waren, auch die Ketten der großen Termuthis trugen, und unsere Ankunft, auf Befehl der Gebieterin, wie es schien, schon lange von ihrer Höhe beobachtet hatten.
Ich glaubte bezaubert zu sein, so viel Pracht und Schönheit hatte ich noch nie beisammen gesehen. Die angenehmen Gegenstände, die sich meinen Augen darstellten, die Töne der Freude, die mein Ohr rührten, der Blütenduft, der mich von jenem zauberischen Garten her umwehte, erfüllte mich mit den süßesten Empfindungen; doch hier ward nur meinen Sinnen geschmeichelt, meinem Herzen war ein besseres Entzücken aufgehoben. Nephtis brachte mich über eine Marmorstiege in ein großes Gemach, dessen Auszierungen mit dem, was ich schon gesehen hatte, vollkommen übereinstimmten. Eine nicht prächtig, aber sehr anständig gekleidete Person eilte mir mit offnen Armen entgegen. "Almé," rief sie, "meine Almé Rusma!!" – Sie schlug den Schleyer zurück, und – ich sahe mich an dem Busen meiner Iphis.
O wer malt meine Überraschung, wer unser beidersetiges Entzücken? Wir waren trunken von Freude. Dieser Augenblick belohnte mir alle Angst, die mir der Anfang dieses Abenteuers gemacht hatte.
Noch hatten wir nicht Zeit gehabt, unsern Empfindungen Worte zu geben, so öffnete sich ein Vorhang im Hintergrunde des Gemachs. Iphis wand sich aus meinen Armen, und führte mich einer großen majestätischen Frau entgegen, welche sich uns mit langsamen Schritten nahte. Ein weites Gewand von dem feinsten Musselin umschloß ihre edle Gestalt, ein Gürtel, der mit dem Hauptschmuck von gleicher Kostbarkeit war, schloß sich unter ihrem offenen Busen, und das Herrliche, welches diese Figur an sich hatte, würde sie mir gleich als die Gebieterin des Schlosses bezeichnet haben, wenn auch nicht Nephtis, die hinter mir stand, mir den Namen Termuthis zugeflüstert hätte.
Die Dame verweilte mit einem Blicke voll Rührung auf mir. Ich warf mich zur Erde und küßte den Saum ihres Schleiers. Sie hob mich auf, und ihr Auge heftete sich noch fester auf mein Gesicht.
"Ist das Almé Rusma?" sagte sie, indem sie sich zu Iphis wandte. – "O fürwahr, du hattest Ursache, dich nach ihr zu sehnen! – Sey mir willkommen, mein Kind! Du hast mir durch die Szene, die ich eben vor mir sah, einen sehr frohen Augenblick gemacht. Bist du willig hieher gekommen, oder hat man dir die Freude, die du nun genießest, durch Schrecken würzen müssen?"
Nephtis trat hervor, und erzählte von der Angst, die ich anfangs ausgestanden hatte. Der Blick meiner Iphis hing mit Mitleid an mir, aber Termuthis lächelte, wie die Großen bei dem Leiden der Kleinern, das sie ihnen wohl ersparen könnten, oft zu tun pflegen.
Iphis und ich erhielten Erlaubnis, uns zu entfernen, sie führte mich auf ihr Zimmer, und wir sanken uns von neuem in die Arme. Unsere gegenseitigen Fragen begegneten einander, und beide blieben lang unbeantwortet, als ich mich endlich gnugsam faßte, um mir von meiner Freundin, durch Erzählung meiner Geschichte die Mittheilung der ihrigen zu verdienen. Tränen des Danks und der Freude unterbrachen sie von neuem, Ströme von Fragen folgten nach, bis endlich Iphis sich meiner Ungeduld erbarmte, und mir von ihrem Schicksal folgendes mittheilte.
"Das Opfer, meine liebe Rusma," sagte sie, "das ich dir brachte, war klein in Rücksicht auf mich; die, welche bereit gewesen wäre, ihr Leben für dich hinzugeben, konnte sich ja wohl entschließen, dir durch Aufopferung ihrer Freiheit einige Vorteile zu schaffen. Ich erkannte den Nachteil, den dir mein Verlust brachte, und den du so hoch anschlägst, nicht, aber nur zu lang waren meine Hände gebunden, hier etwas zu bessern. Ohne ein sehr günstiges Geschick wär es freilich möglich gewesen, daß du mich nie wieder gesehen hättest. Ich verkaufte mich in deinem Namen an den Ersten den Besten, der mir die geforderte Summe zahlte, und in meiner Gegenwart die Befriedigung deines Schuldners vor Gericht über sich nahm. Ich wartete noch die Absendung der schriftlichen Loszählung, des Gürtels und des übrigen Geldes an dich ab und ging dann, so freudig ich konnte, an mein Schicksal, das ich mir selbst gewählt hatte.
Es war nicht glücklich. Die ersten Ketten, die ich trug, waren schwere Ketten, und ich würde sie vielleicht noch tragen, hätte ich nicht, als ich von meinem Herrn in diese Gegend gebracht wurde, wo er Besitzungen hat, den Namen der königlichen Termuthis, so wie ihn die Welt kennt, nennen gehört und mir es schnell als möglich gedacht, durch sie in leidlichere Dienstbarkeit versetzt zu werden. Ich werde dir gesagt haben, daß ich schon vormals in den Diensten dieses erhabnen Hauses lebte und daß es gleichsam um deinetwillen war, daß mich der Himmel dieser so leichten, so gern getragenen Ketten entnahm und mich zu Sophers Sklavin machte.
Es entzückte mich, meine ehemalige Dame, dem Gerücht nach, ganz wieder in der Hoheit zu wissen, die jenesmal der Brand von Alexandrien zerstörte. Sie hatte dieses Wunder ihrer Schönheit zu danken. Sie fiel an jenem Tage des Schreckens in Amrous Hände, und sie wußte die Leidenschaft, die sie ihm einflößte, zu ihrer Rettung und dem Glück ihrer Kinder zu nutzen. Mit Hintansetzung des Abscheus, den sie gegen den Verheerer ihres Vaterlands fühlen mußte, ward sie Amrous Gemahlin, und jetzt ist sie seine Witwe. – Ich hörte jeden Umstand ihrer Geschichte, ich hörte, daß der königliche Menes, der so wie du meine Milch getrunken hat, sich nebst seinen ältern Schwestern nach Amrous Tode, dessen Augen man diese Kinder so viel als möglich zu entziehen suchte, wieder bei seiner Mutter aufhalte, und die Vorstellung, so viel Personen, die mir teuer waren, beisammen zu wissen, erhöhte in mir den Wunsch, meine damaligen Ketten mit denen zu vertauschen, die ich ehemals mit so vielem Vergnügen getragen hatte.
Das Glück wollte es, daß ich einst in den Geschäften meines Herrn, einem der ältesten Bedienten der großen Termuthis begegnete, und von ihm, ungeachet des Unterschieds, den neunzehn Jahre in meinen Zügen gemacht haben mochten, erkannt ward. Ich entdeckte ihm meine Wünsche, und erhielt die Zusage ihrer Erfüllung, welche ich nicht lange erwarten durfte.
Termuthis hatte ihre treue Iphis noch nicht vergessen, man durfte ihr nur meinen Namen nennen, so war ihr Entschluß auch ohne meine Bitte gefaßt. Mein harter Herr erhielt den doppelten Preis, den er für mich gezahlt hatte, und ich ward von neuem die Sklavin dieses hohen Hauses, oder vielmehr seine Freigelassene.
Kaum hatte ich in diesen Wohnungen der Freude das ausgestandene Elend vergessen, kaum begann ich hier mich glücklich zu fühlen, so dachte ich an Almé. Wie mag es ihr ergehen, dieser Beklagenswürdigen? sagte ich zu mir selbst. Hat die schwache Bemühung der Treue vermocht, sie aus den Stricken der Bosheit zu reißen? Ziehen sich die verräterischen Schlingen, die man ihr legte, nicht vielleicht schon jetzt wieder über ihren Füßen zusammen? Einsam, verlassen, ohne Schutz ist sie eine freie Beute des Verbrechens! O Iphis! Iphis! du darfst kein Glück genießen, wenn Almé Rusma es nicht mit dir teilt!
Ich warf mich der großen Termuthis zu Füßen. Ich bat um Wiedervereinigung mit dir; vielleicht hätte ich gesiegt, wenn ich bloß deine Vorzüge, unsere Liebe, und meine Sorge um dich geschildert hätte, aber ich kenne die Großen, ich wußte, daß auch unsere erhabne Gebieterin nicht frei von ihren Fehlern ist; eine Wohltat, bei welcher das Vergnügen der Reichen und Mächtigen auf keine Art in Anschlag kommt, wird immer kalt, lässig und sparsam erteilt. Ich will nicht undankbar sein, aber ich weiß sehr wohl, daß selbst ich nicht ohne diese Rücksicht hier wieder aufgenommen wurde, und ich glaube, ich tat nicht Unrecht, mir in Dir eine neue Stütze zu besorgen.
Ich sagte meiner Gebieterin, daß Almé [Fußnote] ihren Namen nicht mit Unrecht führe, ich sagte ihr von deiner Gabe zu singen, zu erzählen, und den gleichgültigsten Dingen durch deinen Vortrag und durch die lebendige Darstellung einen Zauberreiz zu geben. Ich sagte ihr von dem Buche des weisen Sopher, aber ich hütete mich wohl zu erwähnen, daß es die Quellen von den meisten deiner Erzählungen ist, man mag dich immer bei demselben für eine Begeisterte halten, die alles aus sich selbst oder aus übernatürlichen Eingebungen schöpft, man mag jene heiligen Blätter, deren Bilderschrift niemand versteht, immer für ein Zauberbuch halten, ich versichre dich, ein solcher Wahn wird dir in einem Hause wie das unsrige, da man das Wunderbare ungemein liebt, nicht schaden. Deine Bescheidenheit wird verhindern, daß er nie so weit geht, dich in Verlegenheiten zu setzen, ach, was sage ich, deine Bescheidenheit und Liebe zur Wahrheit würde ihn lieber ganz vernichten; aber ich bitte dich, tue dieses nicht; ich kenne dieses Haus und weiß, was es dir, die schon so viel ist, für Vorteil bringen wird, insgeheim noch für mehr gehalten zu werden."
Ich fand an diesem Teil der Rede meiner Iphis kein sonderliches Wohlgefallen, aber ich schwieg und ließ es genug sein, mir insgeheim vorzunehmen, ich wolle nie einen falschen Wahn von mir begünstigen und aufs wenigste die Regeln der Politik, die ich hier erhielt, so umformen, wie sie zu meinem Charakter paßten.
Iphis, welche mein heimliches Bedenken nicht gemerkt hatte, fuhr in ihrer Erzählung fort. "Es gelang mir," sagte sie, "in dem Herzen der großen Termuthis das lebhafteste Interesse zu erwecken. Sie glaubte sich allein von Mitleid und Bewunderung beseelt, aber im Grunde war sie es weit mehr von Neugier und Verlangen, die schleichenden Stunden, die wir hier so wohl kennen als andere Menschen, auf eine neue Art gekürzt zu sehen. Mache dich gefaßt, nächster Tage zu einer Erzählung aufgefordert zu werden, wie du sie mir zuweilen in der glückseligen Einsamkeit unserer Hütte machtest, und trage Sorge, aus dem ganzen Buche des weisen Sopher gerade diejenige zu wählen, von welcher du meinst, daß sie deinen Ruhm am besten bestätigen und dir die größte Wahrscheinlichkeit, hier lange glücklich sein zu können, gewähren möchte. Die große Termuthis hat ihre eigenen Launen, das beweist die Art, mit welcher du hierher gebracht worden bist. Ich bat, dich selbst abholen zu dürfen. Ich hätte dir so gern jeden Zweifel, den ich voraussah, jede Angst erspart, aber dieses taugte nicht in den Plan unserer Beschützerin. Der Wunsch, Zeuge von der Szene unsers Wiedersehens zu sein, war ihr vielleicht nicht zu verdenken, und der Einfall, dir deine Freude durch vorhergegangene Unruhe desto höher zu würzen, – je nun; – er war ein Einfall, wie sie die Großen öfters haben.
Noch habe ich das Urteil der großen Termuthis über dich nicht aus ihrem Munde gehört, aber in ihren Augen habe ich es gelesen. Ein gnädiger Empfang war dir bestimmt, aber du erinnerst dich wohl, daß dir eine sehr zärtliche Bewillkommnung zuteil wurde. Die Rührung unserer Dame war so groß, daß sie uns eilig entfernen mußte, um nicht vor unsern Augen Tränen fallen zu lassen. – Ich bitte dich, Almé, erhalte dir das gute Vorurteil, das man für dich hat; nähre die Zuneigung, die du gewinnst. Mache dich den Prinzessinnen, die du bald kennenlernen wirst, gefällig, und sollte dir der Zufall einst den königlichen Menes, deinen Milchbruder zu Gesichte bringen, – doch ich verschone deine Bescheidenheit und verschweige meine Wünsche. Das Schicksal gewähre meiner geliebten Rusma jedes Glück, das ihre Schönheit und ihre Tugend verdient."
Es schien, es war die Absicht der guten Iphis, ich sollte hier eine künstliche Rolle spielen; ich war hiervon ganz abgeneigt. Ich entschloß mich, jedesmal nur so zu handeln, wie es die Gelegenheit und mein Charakter mit sich brachte. Wie dieses gelang, wird man aus der Folge sehen.
Ich ward sehr bald wieder zu der großen Termuthis gerufen. Man stellte mich ihren Töchtern vor; sie waren schön, gutmütig und in Jahren wenig von mir verschieden. Freundschaft würde vielleicht gleich anfangs unter uns Platz genommen haben, hätte dieses nicht der Unterschied des Ranges verhindert. Almé Rusma war zwar hier keine Sklavin oder eine eigentliche Dienerin des Hauses; man ehrte ihre Wissenschaften, man hatte an ihrer Herkunft (Iphis hatte mich hier nicht anders als Sophers Tochter bekannt gemacht) – nichts auszusetzen, aber sie blieb doch allemal eine untergeordnete Person, die ihre ganze Wichtigkeit von ihrem Einfluß in das gemeinschaftliche Vergnügen oder allenfalls von einem Buche hernahm, dessen Besitzerin sie war und das man wegen seiner Hieroglyphen für Vehikel der tiefsten ägyptischen Weisheit zu halten geneigt war.
Ich ward sehr bald aufgefordert, meine Talente zu zeigen. Wenn die Damen sich im Mondschein auf dem Dache des Hauses badeten, wenn die Mittagshitze sie in kühle Grotten oder der frühe Morgenhauch in die blühenden Lauben des Gartens rief, wenn die große Termuthis schlaflose Nächte hatte oder wenn benachbarte Damen ihr aufwarteten, so ward Almé Rusma gerufen. Sie sang, sie deklamierte, sie beantwortete aufgeworfne Fragen, sie löste Rätsel oder machte Verse aus dem Stegreif. Zum Tanze ließ sie sich sehr selten herab, sie war immer bedacht, ihrer Würde nichts zu vergeben und überließ jene Übung, in welcher man ihr zwar mit der größten Vollkommenheit schmeichelte, den Sklavinnen.
Die vornehmen Äypterinnen, welche die königliche Termuthis zu besuchen kamen, fanden die Unterhaltung, welche ihnen Almé gab, entzückend. Der Trieb, sich Größern nachzubilden, war ihnen nicht fremd. Auch sie wollten ihre Almés haben. Die Töchter einiger Weisen, welche sich noch von den alten ägyptischen Priestern herrechneten, waren hierzu nicht ungeschickt, und so kann ich mich rühmen, daß ich, ohne es zu wollen, einem ganzen Orden das Dasein gegeben habe, der damals begann, mit meinem Namen benannt zu werden, und jetzt, nach einem halben Jahrhundert, das seit jenen Zeiten verfloß, schon sehr zahlreich geworden ist. Die Jungfrauen der Isis, wie sich diese Mädchen, um sich eine Wichtigkeit zu geben, sehr gern nennen hörten, gingen zwar von den Sitten der ersten Almé gar sehr ab, dafür fiel es aber auch niemand ein, welche Almé Rusma kannte, sie für ihre Schwestern zu halten.
Die Absicht dieser Blätter, meine Leser, ist keine andre, als Euch einige der Erzählungen vorzulegen, mit welchen ich anfangs die große Termuthis und bald darauf, als mich mein Schicksal aus ihrem Hause trieb, auch andre zu unterhalten pflegte.
Ich blieb in der Folge der Geschichte dem Befehl des weisen Sophers treu. Ich begann, so sehr auch Iphis, welche hier eine reiflich überdachte Wahl forderte, dawider war, mit der ersten und hörte mit der letzten auf. – O weiser Sopher! wie bestätigten sich in der Folge deine Worte! Wie sehr verkettete sich mein Schicksal mit dem, was du mich vortragen lehrtest! Taten meine ersten Erzählungen von den ersten ägyptischen Königen vielleicht nichts mehr, als daß sie der großen Termuthis, welche stolz darauf war, von den alten Pharaonen entsprossen zu sein, und die Hoheit ihrer Urväter gern schildern hörte, ein wenig schmeichelten, so griffen die nachfolgenden desto tiefer in ihr Interesse.
Vielleicht werde ich die Art und Weise, wie dieses geschah, an einigen Stellen bezeichnen und meinen Lesern hie und da Spuren von den Empfindungen angeben, welche ich teils glücklich, teils unglücklich genug war, in meinen Zuhörern zu erregen, aber wo werde ich Worte finden, meine eigenen Gefühle zu schildern, als ich mit der Zeit auf Geschichten stieß, welche ich zwar oft gelesen und wiederholt hatte, aber ohne das darin zu finden, was ich zuletzt darin fand.
Was hielt meine damals so schnell geöffneten Augen, daß sie so spät erst des weisen Sophers Geschichte und die meinige da erkannten, wo ich bisher mir ganz fremde, ganz gleichgültige Begebenheiten gesehen hatte!? – O, meine Leser, daß es mir das Schicksal vergönnte, bis auf die letzte der wundervollen Erzählungen zu kommen, deren Einfluß auf das Glück der armen Almé so groß, so unerwartet war! – Der weise Sopher hatte sie überschrieben: Die Braut des Nils [Fußnote]. Hätte ich in diesem gleichgültigen Titel, der sich bloß auf eine alte grausame Gewohnheit meines Vaterlandes zu beziehen schien, wohl je die beglaubtesten Urkunden von meiner Geburt, und das Mittel geahndet, mich zur nächsten Verwandten, zur Gemahlin des königlichen Menes zu machen, den ich, ungeachtet ich in dem Hause seiner Mutter lebte, so spät erst kennenlernte, und zu welchem ich, als es ihm einst [Fußnote] erlaubt war, bei meinen Erzählungen gegenwärtig zu sein, als er den ersten Blick der Liebe und Bewunderung auf mich heftete, wie zu einem höhern Wesen aufsah, dessen näherer Umgang mir ewig unerreichbar bleiben mußte.
Athyrtis
[Fußnote]
Ihr Töchter der großen Termuthis, rühmt Euch Eurer Abkunft, Blut der Götter rinnt in Euern Adern; die Denkmale, welche Eure Urväter auf der Erde zurückließen, als sie zu ihrem himmlischen Ursprunge zurückkehrten, zeigen von übermenschlicher Macht. Was Menes und Möris vermochten, kann kein Sterblicher nachahmen. Dort steigt der Mond über die Pyramiden von Sais herauf, hier spiegelt sich der klare Himmel in den Fluten des Sees, der Eurer Vaterland zum Paradies macht; König Möris grub diesen, und Menes baute jene; wann und warum das letztere geschah, wiederhole ich Euch nicht, Ihr hörtet es in den verflossenen Tagen.
Menes, der Abkömmling der Götter, genoß des Segens der Urheber seines Daseins während einer langen und glücklichen Regierung; damals maßen noch Jahrhunderte das Leben der Herrscher der Welt; sie hätten verdient, ewig zu herrschen, denn sie waren groß und gut wie die Götter, die ihnen die Krone gaben. Aber nach Menes' Tode wandte der Himmel sein segnendes Auge von seinem Lieblingslande, denn die Menschen vergaßen die Lehren, die ihnen der gute König gegeben hatte, und vernachlässigten Opfer und heilige Gebräuche, in welchen er sie ehemals, mit dem Willen der Gottheit bekannt, unterwies.
Damals geschah es, daß die Sonne ein ganzes Jahr lang Ägypten ihren wohltätigen Glanz entzog. Dicke Finsternis brütete über die Fluten des Nils, sie traten über und bedeckten das Land, nicht um es fruchtbar und blühend zu machen, wie wir in unsern Tagen gewohnt sind, sondern es in einen ewigen todatmenden Sumpf zu verwandeln. Bäume und Stauden verdarben. Die Tiere des Landes kamen um, die Ungeheuer des Stroms vermehrten sich und wuchsen zu furchtbarer Größe heran. Die Menschen starben, und die wenigen, welche in den Wundergebäuden, die König Menes vielleicht aus Ahnung oder Offenbarung dieser schrecklichen Zeiten gebaut hatte, erhalten wurden, führten von den giftigen Dünsten, die der Strom hauchte, geschwächt, ein sieches kränkliches Leben. Der Same der Unsterblichkeit verdarb in ihnen, ein Geschlecht kam auf wie das unsrige, Erben einer kleinen Anzahl von Jahren und dann ein Raub des Todes.
Unter den in den ältesten Pyramiden erhaltenen war auch König Möris, der Urenkel des großen Osymandias, ein frommer und weiser Fürst wie ehemals Menes. Unglück hatte ihn noch mehr veredelt. Die Götter erbarmten sich seiner, sie ließen ihre Sonne wieder scheinen, sie riefen die Fluten des Nils zurück und zerteilten seinen Ursprung zur Strafe des Unfugs, den er verübt hatte, in sieben kleine Quellen, die spärlich im Sande rinnen, ungesehen, unbekannt, ein Schimpf des gewaltigen Stroms, den sie erzeugen.
Ungeachtet der Zorn des Himmels sich von Ägypten gewandt und seinen Verheerer bestraft hatte, so war es doch noch immer eine Wohnung des Elends. Es war ein Sumpf und würde es geblieben sein, hätten die Götter den frommen König Möris nicht Mittel gelehrt, es zu dem Paradies zu machen, das es jetzt ist. Von ihnen unterrichtet grub er den großen See, der seinen Namen führt, und leitete die verderbliche Feuchtigkeit, die den Boden durchzog, in ein einziges Bett. Wind und Sonne hatten Befehl von den obersten Regierern der Natur; sie vereinigten sich mit den Absichten des Günstlings der Götter. Der Boden ward trocken und kleidete sich mit lachendem Grün. Korn und Früchte wuchsen von selbst. Die Menschen breiteten sich aus, und lebten sie nicht so lang, nicht so überströmt von des Himmels reichsten Segnungen wie ihre Väter, so lebten sie doch ruhig und unter der Regierung ihres guten Königs glücklich.
König Möris war ein sehr frommer Herr, aber in seinen alten Tagen beging er doch einen Fehler, welchen er sich vielleicht selbst schwerer verzeihen konnte, als ihn die Götter verziehen.
Ein vertriebener Fremdling kam aus Chaldäa, Zuflucht in Ägypten zu suchen; er war ein Weiser, war ein Verehrer des einigen Gottes der Natur, wie auch König Möris war, ungeachtet dieser sich bei seinem Gottesdienst gewisser bildlicher Vorstellungen bediente, welche der Fremde verwarf, den eben seine strenge Anhänglichkeit an Wahrheit und Recht aus dem Lande vertrieben hatte, wo damals die ruchlose Semiramis regierte.
König Möris nahm den Chaldäer freundlich und eine schöne Frau, welche seine Gefährtin war, und die er für seine Schwester ausgab, noch freundlicher auf. Er hatte die Absicht, sie zur Königin von Ägypten zu machen, er nahm sie dem Manne, der sich ihren Bruder nannte, und wußte nicht, daß er das heilige Band der Ehe trennte. Die schöne Fremde war des Chaldäers Weib, der Himmel offenbarte dieses dem unschuldigen Verbrecher, und er säumte nicht, seinen Fehler zu vergüten und die, welche an demselben Ursach war, zu bestrafen. Er gab dem Mann sein Weib zurück, aber der Schleier [Fußnote] der Isis bekleidete sie; ein geheimnisvolles Gewebe, welches sich dergestalt so innig anschmiegt, daß keine menschliche Macht es hinwegreißen, daß nur der Tod es zerstören kann.
Die Chaldäerin blieb bis an ihren Tod eine Sonne, die nur durch Wolken schimmerte, doch auch dieser gemilderte Glanz war dem König gefährlich; sein Herz zu heilen und sein Vergehen zu büßen, floh er den Hof, von welchen er die Fremden, die er liebte, nicht verbannen wollte, und beschloß, sein Leben in der großen Pyramide des Pharao Menes, in welcher er einst zur Zeit der großen Wasserflut Zuflucht gefunden hatte, hinzubringen. Von da aus regierte er das Land und ordnete die Erziehung seines Sohnes, des jungen Sesorchis, den er zu einem bessern Könige machen wollte, als er selbst gewesen war, und den er daher auf andern Wegen zur Tugend zu führen gedachte, als die waren, welche er gewandelt hatte. Der weise Chaldäer, den der König, ungeachet er einst sein Beleidiger war, sehr hoch schätzte, ward der Erzieher des ägyptischen Prinzen. Zweihundert Knaben, die mit diesem Kinde am nämlichen Tage geboren worden waren, wuchsen mit ihm unter der sorgfältigsten Aufsicht heran, keiner von ihnen kannte sich selbst. Alle wußten, daß einer von ihnen zu Ägyptens Herrscher geboren sei, alle wurden auch belehrt, diese Stelle einst rühmlich zu bekleiden: doch sorgte der Weise, daß kein Neid gegen denjenigen aufkeimen sollte, welcher bestimmt war, einst vor allen seinen Gespielen als Herrscher hervorzutreten.
Keiner von allen diesen Knaben ahndete und wünschte die künftige Größe weniger als der, welchem sie wirklich bestimmt war. Die Absichten des weisen Königs waren vollkommen an dem jungen Sesorchis erreicht worden. Sein Herz vor dem kleinsten Hauche des Stolzes und der Schmeichelei zu bewahren, hatte Möris seinen Sohn vom Glanze des Thrones entfernt; ihm zeitig begreiflich zu machen, daß der Krone würdige Tugenden in jedem Stande keimen und daß es nichts als freie Gunst des Himmels ist, welche einige unter den Menschen bestimmt, diesen Schmuck zu tragen, ließ er ihn unter Gespielen aufwachsen, die man ihn wie Brüder lieben lehrte. So erwuchs Demut, Ehrfurcht gegen die Gottheit und Menschenliebe in seinem Herzen, vor allem aber richtige Selbstschätzung.
Sesorchis verkannte seine Vorzüge vor manchen seiner Mitgenossen in der Schule des weisen Chaldäers nicht, aber ebenso deutlich fiel es ihm in die Augen, daß, wenn einst die Krone der Würdigste erhalten solle, ihm mancher diesen kostbaren Preis bestreiten würde. Ihn beunruhigte dieses nicht. Sein erleuchteter Erzieher hatte ihm das Lastende der Krone (und Kronen lasteten damals doch noch nicht so wie jetzt) nicht verhehlt, er hätte das königliche Diadem gern jedem andern gegönnt, und er sah es nicht ungern, daß einer unter seinen jungen Freunden sich vorzüglich mit dem Glücke schmeichelte, einst Ägyptens König zu werden, denn dieser eine war sein Busenfreund, war Tnephachtus, der schönste und liebenswürdigste aller Schüler des Chaldäers, ein Geschöpf, welches durch sanftes einschmeichelndes Wesen, gefällige Sitten und tausend kleine Talente sich nicht allein das Herz des jungen Sesorchis, sondern aller Herzen zu eigen machte.
Die Dame mit dem Schleier der Isis war diesem Knaben besonders gewogen, und ihr hatte Tnephachtus vielleicht seine Träume von künftiger Hoheit vorzüglich zu danken. Die unzerstörbare Wolke, mit welcher ihre unheilstiftende Schönheit bestraft worden war, hatte sie um nichts klüger gemacht. Vorwitzig blieb sie allemal, und läg die Geschichte ihrer künftigen Jahre nicht ganz außerhalb meines Plans, so könnte ich hiervon mehr als einen Beweis anführen.
Ungeachtet ihr ihr Gemahl jede Einmischung in die Erziehung der ihm anvertrauten Kinder untersagt hatte, so machte sie doch wenigstens in Ansehung des schönen Tnephachtus eine Ausnahme. "Du bist zum König geboren," sagte sie ihm unablässig; "dein ganzes All erhebt dich über all die Kinder, die man deine Brüder nennt und die es nicht sind. Du allein bist der Sohn des großen Möris, und hast du mir nicht selbst gesagt, welchen Unterschied der König bei Euren jährlichen Besuchen in der Pyramide des Menes unter Euch zu Deinem Vorteil macht?"
Was Sarai, so hieß die Chaldäerin, sagte, war nicht ganz ohne Grund, Möris ermangelte nie, wenn der Weise seine zweihundert Schüler zur Zeit der Sommernachtgleiche nach Sais brachte, den jungen Tnephachtus besonders zu liebkosen, und viele wollten aus den väterlichen Blicken, mit welchen das Auge des großen Königs immer besonders an diesem Kinde hing, auf eine sehr nahe Verwandtschaft schließen. Diesem mochte indessen sein, wie ihm wolle, so irrte man sich doch gar sehr, wenn man glaubte, der am meisten geliebkoste Knabe sei auch des Königs Herzen der nächste. Möris mochte den schönen Liebling der Chaldäerin lieben, so sehr sie wollte, sein Herz hing doch allemal mehr an Sesorchis, seinem echten anerkannten Sohn, dem bestimmten Erben seines Thrones. Bezeigte er ihm die reinste, heißeste Vaterliebe weniger als den andern, so geschah dieses aus Achtung gegen seinen gemachten Plan. Sesorchis sollte in Unwissenheit seines Standes heranwachsen, sollte einst die Krone erhalten, ohne darauf gerechnet zu haben; dieses zu bewirken, legte Möris den zärtlichen Aufwallungen seines Vaterherzens Fesseln an, und manche falsch gedeutete Liebkosung ward an Tnephachtus verschwendet, welche eigentlich dem bestimmten Thronerben zugedacht war.
So wuchsen die Knaben zu den Waffen, zu den Wissenschaften, zur Tugend heran, bis der entscheidende Augenblick erschien, der das alte Rätsel enthüllen sollte. König Möris starb. Der weise Chaldäer, der schon längst durch göttlichen Ruf in sein Vaterland zurückgefordert worden war, verweilte in Ägypten nur noch so lang, bis er den erstaunten Sesorchis zum Thronerben erklärt und seine Ansprüche realisiert und befestigt hatte, dann zog er davon, und die Dame mit dem Schleier der Isis versicherte im Scheiden noch ihrem Liebling, dem getäuschten Tnephachtus, daß sie den Fluch, der ihre Schönheit drückte, gern doppelt tragen wolle, wenn sie ihn, so wie sie immer gehofft hätte, als König von Ägypten zurücklassen könnte.
Bestürzt war Tnephachtus im höchsten Grade. Der neue König Sesorchis mochte ihm noch so oft versichern, daß er ihm die Krone lieber gegönnt haben würde als sich selbst, er mochte noch so sinnreich sein, ihm begreiflich zu machen, daß er sich in Annahme derselben, bloß dem Willen der Götter unterworfen habe, und noch so freigebig, ihn durch Reichtum und Ehrenstellen fast an seine Seite zu erheben, dieses fruchtete wenig in einem bösen Herzen, und daß das Herz des getäuschten Tnephachtus bös war oder aus Wut über fehlgeschlagene Hoffnung wenigstens bös wurde, wird man in der Folge sehen.
Nach der königlichen Würde war in ganz Ägypten keine höhere als die der Priester. Die Bewahrer der Geheimnisse der Gottheit verdienten den Rang, den sie behaupteten, und sie standen in demselben so fest, daß alle Bemühungen des Chaldäers, dessen Überzeugungen in Religionssachen ein wenig von den in Ägypten angenommenen Meinungen abgingen, sie nicht hatten in die Reihe gewöhnlicher Menschen herabziehen können. Als Diener oder vielmehr als Freunde und Vertraute der Götter wurden sie den Göttern gleich verehrt. – Ihre Vorrechte übertrafen die des Königs, die Bezirke ihrer Tempel umfaßten halb Ägypten und unterwarfen es ihrer Gerichtsbarkeit, und der Schleier ihrer Geheimnisse machte sie, indem er alles verhüllte, was sie Menschenaugen entziehen wollten, unverletzlich.
König Sesorchis konnte seinen Freund, seinen Bruder, den geliebten Tnephachtus, nicht besser wegen der verlornen Krone schadlos halten, als wenn er ihm den Zutritt in das Heiligtum des Osiris und der Isis erleichterte; er tat hierin, was er vermochte, das Übrige hing von den Priestern ab, und Tnephachtus war zu schlau, seinen Vorteil zu verkennen, zu erfahren in der Kunst, Menschenherzen zu gewinnen, sich die Richter seines Glücks nicht gewogen zu machen. Er errang sich schnell die Stimme der Priester der Gottheit, er durchging jede ihrer Prüfungen, man fand ihn bewährt, und Sesorchis jauchzte, seinen Liebling so geschwind auf eine Stufe erhoben zu sehen, die dem Throne gleich war. Der Unglückliche! zu spät sollte er erfahren, welch einen fürchterlichen Feind er sich an die Seite gesetzt hatte.
Manches Jahr verging. Ägypten blühte, das glückliche Volk betete den König an, den es mit Recht seinen Vater nannte. Sesorchis ward der Gemahl der schönen Omphis, die aus dem Stamm der Priester entsprossen war, und der Vater einer Tochter, die er Athyrtis nannte und sie, um den Namen, den sie führte und der eine Geweihte der Götter bedeutet, zeitig gewahr zu machen, von ihrem siebenten Jahre an unter die Zucht des großen Tnephachtus gab. Diesen Titel führte der sogenannte Bruder des Königs, seit er Oberpriester war, und er hatte es sich vorgesetzt, denselben zu verdienen. Man nahm die Versicherung, die er in einer Rede voll hinreißender Eloquenz hiervon gab, als man ihn zuerst in öffentlicher Versammlung groß nannte, als einen rühmlichen Beweis seiner Bescheidenheit an, und niemand ahnte weniger als der tugendhafte Sesorchis, was unter derselben verborgen lag.
Athyrtis wuchs im Isis–Tempel unter der Aufsicht der Gemahlin des Oberpriesters und von seinen Lehren gebildet heran und ward ein kleines Wunder; ein Wunder der Weisheit und Tugend, denn schön war sie nicht; die Übungen, mit welchen sie ihren deutungsvollen Namen und die für ihr Geschlecht seltene Ehre, zu den innersten Geheimnissen der Gottheit eingeweiht zu werden, verdienen sollte, zernichteten zeitig das, was ihr die Natur von weiblichen Reizen verliehen haben mochte. Ihr Körperbau ward männlich; statt des sanften Lächelns, das ihr Geschlecht so liebenswürdig macht, wohnte schon in ihrem fünfzehnten Jahre tiefsinniger Ernst auf ihrer Stirn und ihren Wangen. Die Königin Omphis machte bei den ersten Besuchen, die ihr, seit ihre Tochter die Kinderjahre zurückgelegt hatte, im Tempel abzulegen verstattet wurden, diese Entdeckung und ward nicht sehr durch dieselbe erfreut; niemand besser als das Weib kann den Verlust weiblicher Reize schätzen. Der König, welcher hierin weniger fühlte, tröstete sie mit dem Gewinn, den die Prinzessin bei dem Tausch der Schönheit gegen tiefe Weisheit gefunden hätte; aber am besten ward Omphis durch die Überzeugung getröstet, daß das Herz ihrer Tochter, aus ihrem Gesicht mochte geworden sein, was da wollte, nichts von seiner Güte, nichts von seinen eigentümlichen Grundzügen edler Weiblichkeit verloren hatte, für welche, wie sie meinte, keine männliche Tugend ihr Geschlecht entschädigen könnte.
Das Urteil, welches Omphis über ihre Tochter fällte, war richtig, war es in größerm Umfange, als sie vielleicht dachte und wünschte. Hatten die Lehren des Oberpriesters nicht vermocht, wie er wohl gern gewollt hätte, in das Herz seiner Schülerin männliche Fehler an die Stelle weiblicher Tugenden zu pflanzen, so hatte er vielleicht absichtlich auch manche Schwachheit ungerügt und unausgerottet aufwachsen lassen, zu der sie ihr Geschlecht besonders geneigt machte und von welcher der Falsche in der Folge Vorteil zu ziehen hoffte, denn dieses werdet Ihr demjenigen, welcher den König Sesorchis mit heimlichem Neid auf dem Throne sah, auf den er selbst Ansprüche zu haben glaubte, dieses werdet Ihr dem großen Tnephachtus wohl zutrauen, daß er nicht ohne heimliche Pläne war, den Beneideten zu stürzen, und daß er in der jungen Athyrtis ein Mittel in den Händen zu haben glaubte, Endzwecke zu erreichen, welche er in der tiefsten Falte seines bösen Herzens vor jedermann verbarg.
Wär Athyrtis weniger edel, weniger unerschütterlich gut gewesen, als sie wirklich war, so würde ihm die Ausführung dessen, was er im Sinne hatte, leichter gewesen sein, so kannte er in ihrem Herzen, das er auf keine Art umzuschaffen vermocht hatte, nur einen Flecken, und dieser war unerschöpfliche Neugier, welcher die Prinzessin mit der Selbstschmeichelei, die auch den besten Seelen eigen ist, den Namen endlosen Triebes nach höherm Wissen gab und die sie von dem Oberpriester, der noch einen Schritt weiter ging, ungemein gern heiligen Durst nach himmlischer Weisheit nennen hörte.
Tnephachtus gab demselben, wie er versicherte, so viel Befriedigung, als er konnte, aber er trug Sorge, indem er sie zu immer höhern und heiligern Geheimnissen der Gottheit einweihte, ihren Augen immer neue, noch nie betretene Gegenden des Wissens in der Ferne zu eröffnen und ihr die Einführung in dieselben unter Bedingungen zu versprechen, welche sie bei ihrem günstigen Vorurteil für ihren Lehrer nach Ursach und Folgen zu beurteilen zu schwach war.
König Sesorchis war groß und gut, war ein Vater seiner Untertanen; seinen Thron zu erschüttern war Unmöglichkeit, so lange seine alles belebende, alles erfreuende Gegenwart, sein scharfes, alles durchschauendes Auge jedes Gewebe der Bosheit vernichten mußte. Ebensowohl könntet Ihr das Antlitz der Sonne verhüllen oder das Reich der Nacht da ausbreiten, wo die Regentin des Tages ihr mittägliches Zepter führt. Wenn sie sich ins westliche Meer gesenkt hat, dann erst steigen die Schatten empor, die Geister der Finsternis schweben aus der Unterwelt herauf und wandeln in dem bleichen Lichte des kalten Planeten, der den Thron der entflohenen Sonne eingenommen hat, und die Erde mit seinem unfruchtbaren Schimmer sehr schlecht für ihre entwichene Wohltäterin entschädigt.
Die Sonne Ägyptens, wie man den guten Sesorchis mit Recht nannte, auf ewig untergehen zu machen, dies wäre wohl der Lieblingswunsch des Oberpriesters gewesen, aber das Leben des Königs ward von den Göttern geschützt, nur falsche unüberlegte Schritte konnten ihn der besondern Obhut derselben entreißen; ihn zu solchen zu bewegen, dazu sollte die unschuldige Athyrtis, ohne es zu ahnen, mitwirken.
Die Geweihte der Götter war das Orakel ihres Hauses. Ein Besuch von ihr in dem väterlichen Palaste wurde wie die Erscheinung eines überirdischen Wesens gefeiert. Jedes Wort aus ihrem Munde tönte ihren verblendeten Eltern wie vom Himmel, und eine von ihr geäußerte Meinung, die nicht augenblicklich befolgt wurde, war eine unerhörte Sache. Selten verließ sie den Tempel, um ihre Eltern zu besuchen, wenig waren immer ihre Worte, und zu Ratschlägen ließ sie sich aus rühmlicher Bescheidenheit fast niemals bewegen; aber dieses war eben das Mittel, ihren Besuchen, ihren Worten und ihren Ratschlägen doppelten Wert zu geben. Tnephachtus wirkte in allem, was sie tat, und daß sie in dem Teil ihres Verhaltens, das wir nun schildern wollen, bloß als sein Werkzeug handelte, das brauche ich Euch kaum zu sagen. Daß sie nicht Milschuldige des Verbrechens war, daß sie selbst betrogen wurde, wird Euch ebenso klar werden, wenn ich Euch die Geschichte in der Ordnung mitteile, in welcher sie sich begab.
König Sesorchis hatte mit seiner Tochter, seit sie das fünfzehnte Jahr angetreten hatte, viel von seinem Wunsche geredet, sie vermählt zu sehen. Sie fühlte die lebhafteste Abneigung gegen den Ehestand, aber Tnephachtus sagte ihr, der Wille ihrer Eltern müßte ihr Gesetz sein, und sie unterwarf sich allem, was der König zu Erfüllung seiner Wünsche für nötig hielt. Ihr Bild ward an alle Großen des Landes, in alle auswärtigen Königreiche geschickt; dieses war damals das Mittel, der Welt kund zu tun, daß Prinzessinnen sich zu vermählen wünschten. Aber Athyrtis war nicht schön, ihre Weisheit lockte niemand, und von der Größe und dem Reichtum ihres Vaters konnte nach der damaligen Sitte ihrem Gemahl nichts zufallen: weder sie noch ihr Vermählter waren zur Krone bestimmt, nur ihre Kinder hatten Anspruch auf die Thronfolge, und dieser Vorteil war zu entfernt, zu zweifelhaft, um die Verbindung mit einer Person angenehm zu machen, die das Auge durch nichts reizte und deren geistige Vorzüge von zu erhabener Art waren, um von Alltagsmenschen, deren es damals in allen Landen viel gab, geschätzt zu werden.
So legte Athyrtis ihr zwanzigstes Jahr unbeworben und unvermählt zurück, und sie fühlte sich darum nicht unglücklicher. Sie strebte aus Liebe zur himmlischen Weisheit mehr, sich von allen irdischen Banden loszureißen als neue zu knüpfen. Immer tiefer in die Mysterien des Diensts ihrer Götter einzudringen und daselbst Nahrung für ihre nach Wahrheit durstende Seele zu finden, dies lag ihr am Herzen, und sie kehrte mit Entzücken in die Pyramiden von Dsyse, die Ihr dort ihre mondbeglänzten Häupter erheben seht, zurück, wo damals der Hauptsitz der ägyptischen Weisen war und wo eben der Oberpriester Tnephachtus sich beschäftigte, den Orden der Iannes und Iambres zu errichten, welcher in der Folge sich durch übernatürliche Künste so berühmt machte.
Keine Tiefe des Wissens schreckte die forschbegierige Athyrtis zurück. Sie durfte nur Winke von demjenigen bekommen, was ihr Erzieher jetzt vorhatte, so war sie in dem letzten Fallstricke gefangen, den dieser Bösewicht ihrer Schwachheit legte. Er trug Sorge, ihr von dem, wonach ihre Neugier lüstern war, noch genug zu sagen, um dieselbe zur wütenden Leidenschaft zu machen, und verschloß der ungeduldigen Forscherin dann auf einmal die weitere Aussicht mit der Erklärung: In die Geheimnisse der Iannes und Iambre könne niemand eingeweiht werden, der nicht das Grab des großen Osymandias gesehen habe.
Die weise Athyrtis hatte von dem großen Osymandias viel gehört, sie kannte ihn als einen ihrer nächsten Urväter, sie wußte, daß er einer der mächtigsten Könige Ägyptens gewesen war, aber um sein Grab hatte sie sich nie bekümmert. Der Oberpriester sagte ihr auf ihre Bitte, ihr dasselbe zu zeigen, daß er dieses nicht vermöchte, da ihr Geschlecht ihm verwehrte, sie die übernatürlichen Wege wandeln zu lassen, die zu der heiligen Stätte führten, doch versicherte er ihr, der König, ihr Vater, habe den Schlüssel zu der geweihten Grabhöhle, und es ließe sich glauben, er würde ihr den Eintritt nicht versagen, wenn er gehörig darum ersucht würde.
Die Prinzessin, welche es sich zum Gesetz machte, nirgends um eine Gnade zu bitten als bei den Göttern und ihren Dienern, wählte in dieser Sache den Oberpriester zu ihrem Vorsprecher bei dem Könige, aber Tnephachtus entschuldigte sich, und Athyrtis mußte sich endlich zu einer Reise zum Hof entschließen, wo sie ihr Gesuch so schnell und mit so dringender Art anbrachte, als es die Heftigkeit ihrer Begierde nach verborgenen Dingen heischte.
Mit so viel Ungeduld Athyrtis ihre Bitte vortrug, mit so viel Bestürzung ward sie angehört. O, mein Kind, schrie König Sesorchis, nachdem er seine Tochter eine Stunde lang mit unverwandten Augen angesehen hatte, was forderst du von mir? Und warum gibst du Wünschen einen neuen Stachel, die auch mir Tag und Nacht vorschweben und die ich seit langer Zeit fruchtlos bekämpfe. Ja, ich weiß, wo das Grab des großen Osymandias ist, ja, ich habe die Schlüssel zu den heiligen Gegenden, in welchen die Asche des großen Königs ruht, aber wisse, nie betrat mein Fuß den verbotenen Ort, ob mir gleich der Wunsch meines Landes und mein eigenes Glück den verwegenen Schritt fast unumgänglich zu machen scheinen. Dein Schicksal, das dich zum ehelosen Stande bestimmt zu haben scheint, benimmt mir die Hoffnung, durch dich Enkel und Erben meiner Krone zu sehen. Die Königin Omphis könnte mir noch Söhne und dir Brüder geben, aber ein Traum, welcher mit jedem Mondswechsel, bei jedem Besuch, den ich mit demselben im Tempel des Serapis [Fußnote] ablege, regelmäßig wiederkommt, versichert mir schon seit einem Jahre, dies werde nie geschehen, wenn ich nicht zuvor das Grab des großen Osymandias gesehen habe.
Und was hindert uns, daß wir es nicht augenblicklich besuchen, fiel die ungeduldige Prinzessin ihrem Vater ins Wort. Ägypten wird, wie Ihr sagt, nie ohne diesen Schritt Könige aus Eurem Stamme sehen, und ich werde nie in die Geheimnisse der Iannes und Iambres eingeweiht werden. Das Mittel zu unserm Glück ist eins, es ist in unsern Händen, laßt es uns sogleich brauchen, laßt uns sogleich aufbrechen, wohin uns die Pflicht der Selbsterhaltung ruft. Ich wenigstens versichere Euch, ich werde sterben, wenn ich das Grab des großen Osymandias nicht gesehen habe.
König Sesorchis verwunderte sich, seine sonst sehr einsilbige Tochter so viel in einem Atem sprechen zu hören, aber er fand das, was sie sagte, darum nichts desto klüger und nahm sich zum erstenmal in seinem Leben die Freiheit, ihre Äußerungen zu berichtigen. Selbsterhaltung, mein Kind, sagte er, ist Pflicht, aber nur dann, wenn sie keinen höhern Pflichten Eintrag tut. Wisse, mich und deine Vorväter sowie meine Nachkommen bindet ein heiliges Gelübde, das stillschweigend auf unserm ganzen Geschlecht haftet, das Grab des großen Königs nicht eher zu betreten, bis wir uns mit dem Tempel des Osiris wegen einer großen Summe Geldes abgefunden haben, welche Osymandias bei Erbauung jenes Wundergebäudes, das du zu sehen wünschest, zur Bestreitung der Unkosten aufgenommen hat. Du kennst das Gesetz unsers Landes, welches den Leichnam des Schuldners, wenn er vor Abzahlung des Geborgten stirbt, zum Unterpfand des Darlehns macht, und die Asche deines Urahnherrn ruht eigentlich unter der Verwahrung der Priester, ob ich gleich in der Tat den Schlüssel zu den heiligen Hallen besitze, der mir jedoch nichts hilft, da ich ihn nicht gebrauchen darf.
Die Prinzessin ward durch das, was sie aus dem Munde ihres Vaters hörte, sehr nachdenkend gemacht, aber der Wunsch, das Grab des großen Osymandias zu sehen und durch dasselbe zu den Geheimnissen der Iannes und Iambres zu gelangen, hatte sich ihrer Seele viel zu tief eingeprägt, als daß irgend etwas, selbst die Unmöglichkeit seiner Erfüllung ihn hätte ausrotten können. Sie sann Tag und Nacht auf Mittel, ihren Vater zur Übertretung des königlichen Gelübdes zu bewegen, sofern es ihrem Scharfsinn nicht glückte, ihn durch irgendeinen Nebenweg bei demselben, ohne sein Gewissen zu verletzen, vorüberzuführen. Sich durch Zahlung der verjährten Schuld einen rechtmäßigen Weg in das heilige Grab zu bahnen, war unmöglich, denn die Summe, mit welcher die Krone den Priestern wegen der Eitelkeit des großen Osymandias verhaftet war, war ungeheuer; man hätte das halbe Königreich verpfänden müssen, um die Diener der Gottheit zu befriedigen.
Tnephachtus sah an dem mehr als gewöhnlichen Tiefsinn, welcher die Stirn seiner Schülerin umzog, daß seine Pläne auf dem Wege waren, vollkommen zu glücken, und er machte seine Anstalten so, daß, sofern alles so ging, wie er vermuten konnte, auch von seiner Seite nichts vernachlässiget wurde. Athyrtis redete nicht mehr mit ihm von Osymandias und nicht mehr von Iannes und Iambres, aber eben dieses Stillschweigen sprach deutlicher zu ihm als alles, was sie hätte vorbringen können.
"Mein Vater," sagte die Prinzessin, die jetzt mehr um ihre Eltern war als all die Zeit ihres Lebens, einst zum Könige: "Wessen sind die Schätze der Erde? Der Toten oder der Lebendigen?"
"Der Lebendigen, mein Kind."
"Wer wird einst die Eurigen erben?"
"Du oder die Geschwister, welche dir der Himmel noch geben könnte. Die Götter sind es, welche die Nachkommen zu Eigentümern der väterlichen Schätze bestimmten."
"Wer ist der redlichste Schuldner, der, welcher nie auf Zahlung denkt, weil er sie für unmöglich hält, oder derjenige, welcher es allenfalls mit einiger Gefahr wagt, sich schuldenfrei zu machen und ein kostbares Unterpfand auszulösen?"
"Meine Tochter," antwortete der König, "deine Fragen verhüllen verborgenen Sinn, rede deutlicher mit deinem Vater; vielleicht, daß Gedanken in dir aufgehen, die ich schon längst insgeheim genährt habe, ohne den Mut zu besitzen, sie ganz auszubilden."
"Meine Gedanken," antwortete Athyrtis, "gehen dahin, daß wir uns diese Nacht auf die Reise nach dem Grabe des großen Osymandias begeben und den Schlüssel, welchen die Götter nicht umsonst in Euren Händen gelassen haben, zuerst nützen, das Schatzgewölbe, welches dieses Gebäude wohl so gut wie alle anderen Königsgräber haben wird, zu eröffnen. Ohne Zweifel verschließt es ungemeine Kostbarkeiten, welche nach Eurem eigenen eben gefällten Urteil Euer sind und die wahrscheinlich vollkommen hinreichen werden, das Grab Eures Ahnherrn von den Priestern auszulösen. Es ist grausam, Euch eine ewige Schuldenlast aufzubürden, indem man Euch die Mittel benimmt, sie zu bezahlen."
König Sesorchis hatte hiergegen nichts einzuwenden, als daß gleichwohl die Auslösung des heiligen Ortes dem Eintritt in denselben zuvorgehen sollte und daß also das Verfahren, welches Athyrtis anriet, allemal Meineid sein würde; aber diese Dame hätte nicht so lange unter den Priestern der ägyptischen Gottheiten, den Auflösern aller schweren Fragen, gelebt haben müssen, um nicht alles, was ihr Vater gegen ihre Meinung sagen konnte, mit einer Menge Sophismen zu entkräften, die im Grunde dem Könige willkommen waren und denen er herzlich gern nachgab. –
Was soll ich Euch weiter hierüber sagen? Genug, die nächste Nacht sah den König, der sich Thronerben wünschte, und die Prinzessin, die nach den Geheimnissen der Iannes und Iambres lüstern war, auf dem verbotenen Wege, auf welchem sie ihr Glück zu finden hofften.
Der Weg der königlichen Residenz bis in die Ebenen von Lascor war eine kleine Reise; ob sie von den beiden Wanderern in einer Nacht zurückgelegt werden konnte, das mögt Ihr Euch selbst denken. Sesorchis und Athyrtis fanden sie lang und beschwerlich, das erste wegen der Ungeduld, die in ihren Herzen pochte, das zweite, weil sie nicht gewohnt waren, auf diese Art zu wandern. Die Natur ihrer Reise erforderte es, daß die Pilger einsam waren und jedem Mittel entsagten, womit sich die Könige von Ägypten sonst jeden kleinen Spazierweg zu erleichtern und zu verkürzen pflegten.
Bei Nacht hatten sie die Wanderschaft angetreten, und Nacht war es, da sie das Ende derselben vor sich sahen, es war eine öde schauervolle Gegend, die sie jetzt betraten. Ein enges Tal, an dessen östlicher Seite der Nil in hohen Ufern rauschte; es lenkte sich auf diese zuletzt abwärts zwischen zwei Reihen Felsen hin, die einander hier und da so sehr naheten, als wollten sie dem Wanderer den Durchzug nicht verstatten. Sie türmten sich zu beiden Seiten so unabsehlich empor, daß sie dem Auge den Anblick des Himmels benahmen. Man glaubte eher in einem ungeheuren Gewölbe als in der freien Natur zu wandern.
"Mein Kind," sagte der König, als der Weg etwas breiter zu werden begann, "wundere dich nicht über den Schauer, der dich hier befällt, es ist nicht bloß der Schrecken der öden Gegend, der deine Haare emporsträubt und dein Blut zu Eis macht, es ist die Ahndung von der Gegenwart dir verwandter Schatten. Hier ist die letzte Ruhestätte der Könige von Ägypten, hier schlummern deine Väter, ausgenommen den einzigen Osymandias, der nicht bei ihnen ruhen wollte. Hier wird Sesorchis ruhen, wenn er einst vor dem Totengericht unsträflich befunden wird, und auch Athyrtis kann dereinst hier eine Stelle bekommen, denn sie ist eine Weise und verdient, unter die Könige gezählt zu werden."
Die schweigende Athyrtis, deren ernste Stimmung durch die Rede ihres Vaters erhöht ward, zählte im Vorübergehen die Eingänge, welche zu beiden Seiten in die Felsen gehauen waren, und wunderte sich, ihre Zahl kleiner zu finden als die Zahl ihrer Ahnen, die sie sehr wohl im Gedächtnis hatte; dieses ging sehr natürlich zu; nur die guten Könige durften Anspruch auf diese heiligen Gräber machen, und seit dem großen Könige Menes, dem Sohne der Götter, waren nicht alle Könige von Ägypten gut gewesen.
Als sie die Gegend der Gräber zurückgelegt hatten, passierten sie mitten durch die Ruinen einer großen Stadt, die schon damals niemand mehr zu nennen wußte. Sesorchis drückte seiner Tochter schweigend die Hand, und sie verstand wohl, was er sagen wollte. Die Denkmale der Vergänglichkeit, die ihnen überall aufstießen, gaben der Seele eine schöne Vorbereitung zu dem Schritte, der nun ganz nahe vor ihnen lag und der in ihren Augen unsträflicher sein mußte als in den unsrigen, sonst würden sie, so gewarnt, vielleicht noch zurückgekehrt sein.
Es war tiefe Mitternacht. Das Tor zu dem Begräbnispalast des großen Osymandias türmte sich am Ende der Ebene vor ihnen auf. Der Mond ging eben unter, und König Sesorchis hielt es für die rechte Zeit, die Fackeln anzustecken, welche sie mit sich genommen hatten. Ob Stahl und Stein ihnen Feuer gaben oder ob Athyrtis aus dem Tempel des Phtah [Fußnote], in welchem sie sich einiger Bekanntschaft rühmte, ein anderes Mittel, die Flamme hervorzurufen, mitgebracht hatte, das ist für uns von keiner Wichtigkeit, genug sie gingen im Schimmer zweier Fackeln dahin. Sie standen endlich an dem schwarzen Marmortore. Der Schlüssel in Sesorchis' Hand drehte sich siebenmal in dem ungeheuren Schlosse herum, die Torflügel sprangen krachend auf und schlossen sich mit ebensolchem Getöse dicht hiner den Eintretenden zu. Sie sahen sich jetzt in einem großen Hofe oder vielmehr in einem hohen, von ungeheuern Granitsäulen unterstützten Gewölbe. Zwölf Sphinxe von kolossalischer Größe ruhten zu beiden Seiten, als wollten sie den Eingang zu dem innern Haupttor bewachen, welches dem äußern in einer Entfernung von zweihundert Schritten gerade entgegen lag. Der Künstler schien diesen Ungeheuern eine Art von Leben eingegossen zu haben. Ihre Augen funkelten, ihre Flügel schienen sich zu regen, einige von ihnen erhoben sich dem Anscheine nach langsam auf den Vorderfüßen und waren im Begriff, sich auf denjenigen zu stürzen, welcher den Weg zwischen ihnen hindurch nach der verbotenen Pforte nehmen wollte. Die Dämmerung und das tote Schweigen, das hier herrschte, vermehrte das Gräßliche der Szene.
Sesorchis und seine mutige Tochter waren zu groß, um von dem Blendwerke des Bildners geschreckt zu werden; ein mächtigerer Schrecken regte sich in ihrem eigenen Selbst, das keinen andern Grund hatte als das Bewußtsein einer wenigstens sehr zweideutigen Handlung.
Athyrtis wandte sich ängstlich um und sah nach der äußern Pforte zurück, durch welche sie eben gegangen waren. Sie war nicht allein geschlossen, sondern es ließ sich auch von innen kein Mittel sehen, sie wieder zu öffnen, sie schien mit ihren beiden Flügeln aus einem Stück Erz gegossen und mit unsichtbaren Angeln in die Felsmauern gewachsen zu sein. Welche Entdeckung! Die Prinzessin bebete, ewig an einem Orte bleiben zu müssen, der ihr schon beim ersten Eintritt nicht gefiel, doch teilte sie ihre Besorgnisse ihrem Gefährten nicht mit; wer hätte sie aufrichten sollen, wenn auch er den Mut verloren hätte?
König Sesorchis ging mutig voran. Athyrtis folgte mit zögerndem Schritte. Die Pforte des innern Gebäudes war nicht verschlossen, ein leichter Druck der Hand öffnete sie. Das Herz der Prinzessin war beklommen, das Herz ihres Vaters noch mehr. Er stutzte vor dem Eintreten [Fußnote]. "Es ist bedenklich," sprach er, indem er sich zu seiner Tochter wandte, "einen Schritt weiterzugehen, ehe wir wohl erwogen haben, was hier unser Geschäft ist und wohin wir uns zuerst zu wenden haben. Wähle selbst: die Schatzkammern oder das Grab des großen Osymandias."
"Der Himmel selbst entscheidet," rief Athyrtis, welche einen Blick durch die geöffnete Pforte warf und Gegenstände sah, welche Empfindungen in ihr erregten, die von denen, welche sie bisher erfahren hatte, ganz verschieden waren. Aus dem düstern herzbeengenden Gewölbe, aus dem Gewühl von halblebenden Ungeheuern, zeigte sich ihr die Aussicht auf einen freien Platz, der keine andere Decke über sich hatte als den hell gestirnten Himmel, keine andere Grenzen als eine weit entfernte Kolonnade von weißem Marmor, die ihn rings umzog, ohne seine Aussicht zu beschränken, und die, ich weiß nicht, in welchem Licht glänzte. In der Mitte stand ein großer einfacher Altar, von welchem ein reines ätherisches Feuer himmelan flammte. Die rote Glut der Fackeln, welche die Eintretenden trugen, ward von dem Sternenglanz dieser himmlischen Flamme hinweggeblendet; sie fanden sie unnötig, sie warfen sie beide, wie durch einen Zug getrieben, zur Erde und nahten sich beide Arm in Arm, wie von einem Geist beseelt, dem erhabenen Gegenstande, der ihre Aufmerksamkeit so sehr fesselte.
"Hier laß uns knien," schrie Athyrtis, die sich nebst ihrem Vater auf die untere Stufe des Altars niederwarf. "Hier laß uns anbeten, o Gottheit, die diesen Ort bewohnt! Waren die Triebe unrein, die uns in dieses Heiligtum lockten, war es tolle Neugier, sträflicher Wunsch versagter Gaben oder gar unedler Durst nach Schätzen, was uns die Kühnheit gab, verbotenen Grund zu betreten, so werde das Vergehen durch diese Tränen gebüßt; und dein Beifall, o Gottheit, heilige die Schritte, die wir nun gezwungen tun müssen, da die Rückkehr uns verschlossen ist."
Die Sage berichtet, ein Donnerschlag, das gewöhnliche Zeichen der Erhörung, habe dieses Gebet, das mit der heißesten Inbrunst aus dem Herzen der Beter hervordrang, beantwortet [Fußnote], und getrost und mutiger haben sich die Knieenden von den Stufen des Altars erhoben, den sie jedoch nicht eher verließen, bis sie ihre verloschenen Fackeln bei seinem reinen Feuer wieder angezündet hatten.
Sie bedurften ihres Lichts, denn so lange ihre Wanderung durch alle Regionen dieses Wundergebäudes dauerte, die ich zu schildern unterlassen muß, so wich doch die Dunkelheit nicht. Hier schien es niemals Tag zu werden. Die Wanderer gingen mit getrostem Mut, wie sie der Zufall führte. Sie glaubten jetzt jeden ihrer Schritte mit himmlischem Beifall bezeichnet und bereuten kaum, das nicht zu finden, was sie eigentlich hier gesucht hatten. Sie durchstrichen Höfe, Säle, Gallerien, Zimmer, sie fanden zwar manches Wunder, aber weder das Grab des großen Osymandias, noch die Schätze, welche dasselbe aus der Verpfändung der Priester lösen sollten. In verschiedenen Gewölbern, welche Inschriften führten, die auf das Letzte zu deuten schienen, fanden sie Truhen mit Asche gefüllt und in einem andern eine Sammlung seltner Handschriften, welche für die weise Athyrtis allenfalls noch mehr Reiz hatten als für ihren Vater; in summa, es schien sich alles hier zu vereinigen, den Wanderern die große Lehre von der Nichtigkeit irdischer Schätze und dem höhern Wert der Güter des Geistes einzuschärfen.
Das Bild des großen Osymandias fanden sie hier im Getäfel und im Schnitzwerk der zedernen Säulen überall. In tausend verschiedenen königlichen und menschenfreundlichen Handlungen zeigte er sich hier, und dort prangte er als Freund der Götter vor ihren Altären mit reichen Gaben; eine schöne Sammlung von Lehren für den König. Er nahm sich vor, fleißig hierherzukommen und von dem stummen Marmor leben und regieren zu lernen. Doch lebte bei all diesen schönen Entschlüssen der Wunsch noch in ihm, um dessen Erfüllung ihn seine Träume hierher gewiesen hatten, und die Prinzessin fühlte, so wie sie ruhiger ward, die Sehnsucht nach den Geheimnissen der Iannes und Iambres wieder in ihrem Herzen erwachen, aber das Grab des Osymandias, welches gefunden werden mußte, ehe sie die letzte Weihe erhalten und König Sesorchis einen Wunsch anderer Art erfüllt sehen sollte, war hier nicht zu finden, und schon dachten sie alles aufgeben zu müsssen, als der letzte Akt des sonderbaren Schauspiels die Sache entschied.
Von allen hundert Türen, die sie bisher geöffnet und verschlossen hatten, fehlte nur noch eine; sie glich der großen Pforte des ersten Eingangs auf ein Haar und setzte durch diese Ähnlichkeit die Wanderer in eine sonderbare Bestürzung. "Wo sind wir?" fragte Sesorchis seine Tochter, indem er seinen Schlüssel hervorzog, um zum zweitenmal, wie er meinte, die nämliche Pforte zu öffnen. "Beginnen wir von neuem die Wanderung, die wir bald geendigt zu haben glaubten?" Die Flügel des Tors gingen rauschend auf, und die Reisenden sahen bald, daß sie sich in einer noch ganz unbetretenen Gegend befanden. Ein neuer Vorhof, mit einem ungeheuern Gewölbe von oben geschlossen und wie manche Gegenden dieses Wunderpalasts von einem Licht erhellt, dessen Art und Ursprung unerratbar war, tat sich vor ihnen auf.
Drei kolossalische Bildsäulen [Fußnote] erhoben sich dem Eingang gegenüber, vor einem zweiten Tor. Das Fußgestell der mittelsten, welche aus einem einzigen schwarzen Stein gearbeitet zu sein schien, übertraf allein die gewöhnliche Menschengröße zweimal; aus dieser Angabe läßt sich auf die Größe des Bildes schließen. Während Sesorchis dieses Wunderbild, welches einen sitzenden König vorstellte, mit sorgfältigem Auge betrachtete, war Athyrtis schon von dem Bilde zur Linken, welches ein seltsames Ungeheuer vorstellte, aus dem sie nichts zu machen wußte, zu dem zur Rechten übergegangen. Es war eine schöne dreifach gekrönte Frau, die mit lächelndem Stolz, der nichts Bösartiges an sich hatte, um sich herzublicken schien. Athyrtis hätte gewünscht, diese übermenschliche Figur etwas kleiner zu sehen, um ihre Schönheit besser beurteilen und prüfen zu können. Die Inschrift am Fußgestell beschäftigte sie, weil ihr von dem Aufsehen in die Höhe die Augen vergingen, zuletzt am meisten, und sie hatte eben die Worte gelesen: "Ich bin die Mutter, Gemahlin und Schwester dreier Könige, bin die Mutter des großen Osymandias," als Sesorchis den Namen, den Athyrtis mit soviel Freude aussprach, ebenfalls mit Entzücken wiederholte. "O meine Tochter," rief er! "Endlich haben wir gefunden, was wir suchten! Dies ist das Bild unsers großen Ahnherrn, und sein Grab ist ohne Zweifel der Boden, auf welchem es steht!"
Ein Donnerschlag unterbrach hier das, was Sesorchis weiter sagen wollte, er überraschte die beiden Wanderer so sehr, daß sie halb betäubt zu Boden fielen und sich nicht eher erholten, bis ein hellerer Glanz, der sie umgab, und das Gewirr vieler Stimmen, das sie umtönte, ihre Lebensgeister zurückrief.
Sie sahen sich jetzt innerhalb des Tors, vor welchem sie vor wenigen Augenblicken gestanden hatten, sahen sich in einem weiten prächtig erleuchteten Gewölbe, welches das Ansehen eines Gerichtssaals hatte. Dreißig Männer in priesterlicher Tracht saßen im halben Zirkel in dem Innern der Schranken, vor welchen der König und die Prinzessin als Beklagte standen oder vielmehr, da sie sich jetzt erst von ihrem Fall emporrichteten, als Verurteilte auf den Knien lagen.
Ein verhüllter Mann in der Mitte der furchtbaren Versammlung, der das Haupt derselben zu sein schien, erhob sich von seinem Sitze und wandte sich an die erschrockenen Zwei, die sich an den Schranken aufrechthalten mußten.
"Verbrecher!" rief er mit einer Stimme, welche den Hörern bekannt hätte sein müssen, wenn die Bestürzung nicht jede Erinnerung betäubt hätte. "Verbrecher! Wir fragen Euch nicht, wer Ihr seid! – Wir kennen Dich wohl, Sesorchis, und Dich, Tochter der Weisen, welche hier zum erstenmal in einem sonst rühmlichen Leben Weisheit und Tugend so schimpflich verleugnete, indem sie diesen verbotenen Ort betrat und ihren Vater zu gleichem Frevel verleitete. Verbrecher! Ja, wir kennen Euch, und jetzt sollt Ihr Euer Urteil hören. Sesorchis ist nicht König von Ägypten mehr, sondern ein Toter, dessen Leichnam, wenn wir winken, morgen an den Ufern des Nils entseelt gefunden und vor das Totengericht gebracht werden wird. Er hat eine Wahl unter drei Dingen: Entweder Tod oder ewiger Aufenthalt in diesen Gegenden, aus welchen ihn keine menschliche Macht reißen wird, oder Einwilligung in mögliche Bedingungen, die ihm vorgelegt werden sollen. Das Schicksal seiner Tochter richtet sich nach der Wahl, die er treffen wird, und ihr liegt es ob, ihm zuzureden, daß sie vernünftig ausfalle, so wie ihn ihr Rat zu der strafbaren Handlung bewog, um welche er jetzt gerichtet wird."
König Sesorchis, immer groß, niemals mutlos in Gefahren, obgleich oftmals schwach, wenn das Glück ihm lachte, zeigte, nachdem er von dem ersten Schrecken zu sich selbst gekommen war, weder Befremdung über das, was man ihm vortrug, noch zaghafte Reue, sich selbst in diese Verlegenheit gestürzt zu haben, er deutete nur an, daß, um seine Wahl zu bestimmen, nichts nötiger sein würde als genaue Anzeige der Vorschläge, die man ihm zu tun habe.
"König Sesorchis," war die Antwort, "hat sich durch Betretung dieses geweihten Ortes gröblich versündigt, eine Buße, die nicht leicht sein darf, büße sein Vergehen."
"Man nenne mir, was man von mir fordert," versetzte der König, "und versehe sich zu mir, da ich meinen Fehler selbst fühle, möglichste Folgeleistung."
"Sesorchis wird sehen, daß seine Bereitwilligkeit seine Strafe erleichtert und daß das immer gütige Schicksal in auferlegte Pflichten vielleicht den Keim seines Glücks gelegt hat. – "
"Und welches sind diese Pflichten," rief der König. "Man halte mich nicht länger auf; man sage mir, womit das Verbrechen gebüßt wird, das Grab des großen Osymandias gefunden zu haben."
"Nicht es gefunden, nein, es gesucht zu haben, ist Sesorchis' Verbrechen. Man zeige ihm die Inschrift des heiligen Bildes, das sein frecher Blick entweihte, und belehre ihn, wie sehr er sich in seinem stolzen Wahn betrügt."
Sesorchis untersuchte in Begleitung einiger Priester die Inschrift der Bildsäule seines Urahnherrn nochmals und fand folgendes:
"Ich bin Osymandias, ein König der Könige! Du, mein Enkel, der Du wünschest, daß Deine Kinder meinen Stuhl besitzen mögen, willst Du wissen, wie groß ich war und wo mein Grab ist, so übertriff mich in meinen Taten."
"Verwegener Sterblicher!" rief der Sprecher, als der König schweigend und tiefdenkend zurückkam, "glaubtest Du, das größte Geheimnis der Welt, das Grab des großen Osymandias entdeckt zu haben, das selbst den Weisen verborgen ist? Gehe hin, ahme ihn nach in seinen Werken, werde groß, wie er war, und vielleicht wird dich der Himmel dann mit einer Offenbarung beglücken, welcher Du jetzt noch unwürdig bist, die selbst uns willkommen wäre. Ziehe hin, mache Dir Länder und Völker untertänig, wie er tat, und komme dann wieder, das Land in Frieden zu regieren, zu dessen Vergrößerung oder Beglückung Du noch zu wenig getan hast, um die Ruhe genießen zu dürfen."
König Sesorchis ahndete in diesen Worten Dinge, die ihm nicht behagten, doch hier war nicht der Ort, die kleinste Widersetzlichkeit zu äußern. Er bat um Bedenkzeit; die weise Athyrtis ward ihm zugegeben, und sie ermangelte nicht, jeden Überredungsgrund zu nützen, ihm jedes Mittel angenehm zu machen, sich und sie aus diesem Kerker zu erlösen.
Sie, mit den Geheimnissen der Priester, in deren Gewalt sie waren, besser bekannt als irgend jemand, sah hierin weiter als er, sie zeigte ihm die Gefahr der Weigerung, sie schilderte ihm das, was man eigentlich von ihm forderte, einen Zug zu Eroberungen der fernsten Erdenreiche, wie ihn König Osymandias getan hatte, auf der glänzendsten Seite; sie malte ihm die Ehre, welche mit einer solchen Unternehmung selbst im Fall, daß sie nicht glücken sollte, verbunden wäre; und am Ende demonstrierte sie ihm noch aus der Inschrift des wundervollen Bildes soviel heraus, daß er in Befolgung des gesprochenen Urteils auch die Erfüllung eigener Wünsche finden konnte. Es war schwer, dieses hierin zu finden, aber die sophistische Athyrtis konnte alles beweisen, was sie wollte. Sie war hierin ihren Lehrern, den ägyptischen Weisen, gleich, und hier besonders ließ es sich nicht anders an, als wenn der Mund des Oberpriesters in allem selbst aus ihr redete.
Und so war es auch. Athyrtis hatte frühzeitig in dem Haupt der Gerichtsversammlung, welche über sie und ihren Vater das Urteil sprach, den großen Tnephachtus erkannt; man hatte ihr hierüber Stillschweigen aufgelegt und, indem man ihr die Gefahr zeigte, in welcher sie und der König hier ganz in priesterlicher Gewalt wirklich schwebten, hatte man sie verpflichtet, alles hervorzusuchen, was ihn zu dem Zuge auf Eroberungen in fremde Weltgegenden bereden konnte. Die Prinzessin, selbst voll schwärmerischer Träume künftiger Größe, ließ sich hierin zu allen wirksam finden, was man von ihr verlangte. Sie schmeichelte sich, ihren Vater auf seinen Heldenzügen begleiten zu dürfen, und Tnephachtus ließ sie dabei, weil ihm das Mittel sehr wohl bekannt, durch welches er sie, sobald er wollte, ohne Widerrede zurückbehalten konnte.
Erst nachdem Sesorchis in alles gewilliget hatte, was man ihm vorlegte, beliebte es dem Oberpriester, sich ihm zu offenbaren. Sesorchis, der diesen Verräter immer mit gleicher Wärme liebte, freute sich, in dem Richter seinen Bruder gefunden zu haben. Er warf sich in seine Arme, er überzeugte sich, daß sein Urteil, von ihm abgefaßt, gewiß so milde ausgefallen sei als möglich. Er ergab sich ruhiger in die Notwendigkeit, sein Land verlassen zu müssen, weil er sahe, daß selbst sein Busenfreund hierin nichts hatte ändern können. Er beschloß, bei seiner Abreise die Regierung in seinen Händen zu lassen, und der Oberpriester war über dieses Zutrauen so gerührt, daß er den König nicht ohne Beweise seines gegenseitigen guten Willens von sich lassen wollte. Den Tag vorher, ehe der König die Reiche der Nacht verließ, führte er ihn in eins der obern Stockwerke des Wunderpalasts, von welchem er an der Hand seiner Tochter einen kleinen Teil durchwandert hatte.
"Sesorchis hat noch nicht alles gesehen, was dieses Gebäude von Herrlichkeiten in sich verschließt," sagte er zu ihm, indem er ihn in einen großen Saal führte, in dessen Mitte sich eine ganz goldne [Fußnote] Truhe befand, deren Größe sich auf mehrere hundert Ellen belief: "Und was würdet ihr denken," fuhr er fort, "wenn ich euch sagte, daß hier, eben hier, das Grab des großen Osymandias sei? – Doch nein, ich will meinen Bruder, meinen König nicht täuschen! – Er erfahre mehr, als selbst die geübtesten Schüler der Weisheit wissen, und lerne aus dieser Vertraulichkeit, wie treulich Tnephachtus es mit ihm meine.
Wisse, Sesorchis, die Sage von der hier ruhenden Asche des größten der Könige ist eine Fabel, welcher sein eigner Wille das Dasein gab. Sie sollte das Mittel werden, sein Grab zum ewigen Geheimnisse zu machen. Wahrscheinlich fanden seine Gebeine ihre Ruhestatt in den entferntesten Gegenden der Erde, die er Ägypten unterwarf, denn auf seiner letzten Reise nach den fernen Inseln ist er gestorben, und ein Märchen ist's, daß man seinen Leichnam nach Ägypten zurückgebracht habe.
Könntest du es finden, o Sesorchis! Könntest du sein Grab finden, wie würden die Schüler der Weisheit dich preisen, welche hier das Ende ihres Forschens sehen! Wie glücklich würdest du dein Land machen, das von der Entdeckung der Asche des großen Toten die Erfüllung verschiedener Weissagungen erwartet, welche seinen Flor vollkommen machen werden!
Gehe hin! Tue, wie die Inschrift des heiligen Bildes dich lehrt! Enkel des großen Osymandias! Ahme ihm nach, und du wirst wissen, wie groß er war und wo er begraben liegt!
Auch ist für dich mit dieser Entdeckung besonderes Glück verbunden. Wisse, Sesorchis wird seinen Stamm nicht aussterben sehen, Ägypten wird bis ans Ende der Tage von seinen Nachkommen beherrscht werden, wenn er sich überwindet, es jetzt zu verlassen. Ich weiß, es wird einem guten Vater nicht leicht, von seinen Kindern zu gehen; aber Sesorchis, der immer so groß als gut handelt, verläßt ja sein Volk, um es zu beglücken, er läßt es ja in Händen, deren Treue ihm bekannt ist, in den Händen seines Bruders Tnephachtus, der um die weise Athyrtis zur Mitregentin bittet und selbst in dieser Bitte einen Beweis ablegt, wie er gegen das Volk und seinen König gesinnt ist."
Der König hatte zwar schon das Versprechen von sich gegeben, sich den Weg gefallen zu lassen, welchen ihn das Schicksal führte, auch konnte und wollte er hier nichts wiederrufen, aber die Schwere und Bedenklichkeit des Schrittes, den er vor sich hatte, beängstigte doch sein Herz.
Alles was die Reise auf nutzlose Eroberungen ihn kosten, alles was mittlerweile über sein Land kommen konnte, schwebte ihm in dunklen Bildern vor. Die heuchlerische Rede des Oberpriesters blieb unbeantwortet, und er hatte gute Muße, ihr noch mehr hinzuzusetzen.
"Was ists," hub der Verräter von neuem an, "daß das Auge meines Königs ungeachtet der herzerfreuenden Täuschungen, womit ihn sein Bruder zu laben suchte, noch immer zur Erde zieht? Sollte es ihm etwa an dem einzigen Mittel fehlen, dessen er außer seiner Tapferkeit allerdings noch bedarf, um groß zu werden, wie sein Urahnherr war? Befürchtet Sesorchis, seine Schätze zu leeren oder sein Volk mit Kriegssteuern beschweren zu müssen, wenn er den großen Zug zur Unterjochung der Barbaren glücklich vollenden will? – Rede, mein Bruder, und ist meine Mutmaßung richtig, so siehe hier das Mittel, auch diesen Zweifel zu heben. Diese güldene Truhe, welche selbst von vielen unserer Weisen für das Grab des großen Königs gehalten wird, enthält nichts als seine Schätze. Sie sind dein, wenn du das Gelübde erneuerst, sie dereinst mit seiner Asche auszulösen. Bringe sie hierher, bringe die heilegen Reste hierher und leere dann das ungeheure Behältnis, das du vor dir siehst von allen Schätzen, die es verbirgt. Nimm schon jetzt soviel davon, als dir zu gegenwärtigen Bedürfnissen not ist; was dir der Priester der Gottheit verstattet, ist kein Raub; du darfst nicht fürchten, zuviel zu nehmen, alles ist dein, und du kannst urteilen, ob hier eine Verminderung bemerkbar sein wird."
Sesorschis stand wie verblendet bei dem Anblick der Schätze, die Tnephachtus in diesem Augenblicke enthüllte. Ich unterlasse, sie Euch zu schildern; ihr würdet glauben, in dem, was ich hierüber sagen könnte, eine Fabel zu hören. – Königreiche hätte man hiermit kaufen können, wenn Königreiche für etwas geringers als Menschenblut feil wären. Sesorchis, dessen Hauptkummer eben dieses war, nicht allein sein liebes Land verlassen, sondern auch die Größe, die man ihm von fern zeigte, mit Menschenopfern bezahlen zu müssen, tat dem Oberpriester einige Vorschläge über die Anwendung dieser Schätze; aber Tnephachtus, welchem daran gelegen war, den König aus seinem Reiche zu entfernen, nahm nichts an, was er bot, sich dieser auferlegten Pflicht zu überheben, fand alles töricht, was er hierüber sagte, und besiegte endlich den Widerwillen des großen Sesorchis völlig, durch geäußerten Verdacht, als ob Zaghaftigkeit oder Liebe zu weichlicher Ruhe der Grund seiner Vorschläge wäre.
Verächtlich wandte der König dem Manne, der sich so sehr vergessen konnte, den Rücken zu; er berief sich auf seine schon als Jüngling gemachten Eroberungen, welche dem Throne von Ägypten die Araber und einen großen Teil von Afrika unterworfen, doch beschloß er bei sich selbst, um der Lästerung auszuweichen, als sei er nicht mehr der, welcher er ehemal war, hinfort kein Wort weiter gegen das harte Schicksal zu sagen, welches Ägypten um seinen Vater brachte, sondern ruhig den Weg zu gehen, der nun einmal, wie man ihn beredete, seine Bestimmung war.
Sesorchis und Athyrtis verließen des andern Tages den sogenannten Begräbnispalast des großen Osymandias, doch sorgte die letztere, daß dieses nicht eher geschah, bis die Forderungen der Priester an denselben aus dem großen Schatzbehälter dreifach befriedigt worden waren.
Tnephachtus hatte vielleicht Recht, diese Zahlung mit höhnischem Achselzucken anzunehmen. Er war der Bewahrer aller dieser Schätze, er kannte vielleicht noch größere, die er verbarg, er stand in der nahen Erwartung, Herr von ganz Ägypten zu werden, was konnte man ihm oder den Tempeln seiner Götter geben, das er nicht schon vorher besessen hätte?
Als der König seine Hauptstadt wiedersah, so war sein erstes Geschäft, die Königin Omphis von seinem unglücklichen Vorwitz und der strengen Strafe desselben zu benachrichtigen: Sie faßte sich mit männlichem Mut und schwur, ihn auf keinem Pfade zu verlassen, den ihn das Schicksal führen könnte. Athyrtis hatte das nämliche Gelübde getan, und nichts konnte sie von demselben abwendig machen. Sesorchis wünschte, sie möchte als Mitregentin des Oberpriesters zurückbleiben. Das Volk, das sie liebte, beschwur sie, den Verlust ihres guten Königs durch den ihrigen nicht doppelt schmerzhaft zu machen; sie blieb unerbittlich. Doch als ihr Tnephachtus, da er zuerst den Hof wieder besuchte, etwas von der Einweihung in die Geheimnisse der Iannes und Iambres ins Ohr sagte, welche wohl in Abwesenheit des Königs vorgenommen werden könnte, da war sie auf einmal umgewendet. Sie blieb zurück, blieb gern zurück, und der König, der aus der schnellen Umwandlung ihrer Gesinnungen nicht die beste Mutmaßung für ihren Verstand und die gute Führung des Regentenszepters faßte, hielt es für nötig, ihr außer dem Oberpriester noch ein Ratskollegium an die Seite zu setzen, welches ihr zur Unterstützung dienen oder vielmehr Fehler, die sie etwa begehen möchte, verhüten oder wieder gut machen könnte.
Es bestand aus hundertundneunundneunzig Personen, auf welche der König ein besonderes Zutrauen setzte, weil sie mit ihm erzogen waren; Ihr werdet die zweihundert Knaben, deren auch Tnephachtus einer gewesen war, die mit Sesorchis an einem Tage geboren waren und die König Möris nebst ihm der Aufsicht des weisen Chaldäers untergab, noch nicht vergessen haben.
König Sesorchis nahm Abschied von seinem Volk und stellte sich an die Spitze seiner Heere, er und die Königin Omphis letzten sich mit ihrer Tochter, die sie bis ans Ufer des Meers begleitete. Doch ward Athyrtis zärtlicher von ihrem Vater entlassen als von ihrer Mutter; Ihr werdet der weisen Omphis nicht unrecht geben, daß sie die Prinzessin heimlich eine Ursach all ihres Unglücks nannte und den Tag verwünschte, da man sie, um eine außerordentliche Person aus ihr zu machen und sie über die Grenzen ihres Geschlechts zu erheben, aus ihrer Zucht in die gefährliche Schule der Priester gegeben hatte.
Die Folgen von den Lehren, die sie daselbst erhielt, hatte die unglückliche Athyrtis schon zum Teil erfahren, aber es gehörte mehr dazu, ihr die Augen völlig zu öffnen und sie einsehen zu lehren, wie sehr sie den einfachen anmutreichen Pfad zum wahren Glück, den der Schöpfer dem Weibe vorzeichnete, verfehlt hatte, indem sie sich in Regionen verirrte, welche nicht die ihrigen waren.
Der Oberpriester hatte sich die weise Athyrtis zur Mitregentin gewünscht, sonst würde er, der alles regierte, wie er wollte, sie nicht erhalten haben; es war wider seinen Plan, sie mit dem Könige reisen zu lassen und sich in ihr, sollte Sesorchis von seinem weitaussehenden Unternehmen, die Welt zu erobern und eine Universalmonarchie zu errichten, nicht lebend zurückkehren, eine lästige Kronprätendentin aufzusparen. Jetzt bedurfte er ihrer noch im Lande, um sich der Liebe des Volks, das ihn haßte und sie anbetete, zu versichern; hatte er ihrer nicht mehr nötig, so war ihr Schicksal bestimmt, und da bis zu diesem Zeitpunkte nichts Wichtiges vorfiel, so erlaubet, daß ich Euch ohne weitere Umschweife zu demselben führe.
Jahre waren seit Sesorchis' Abreise vergangen. Das Land hatte den Abschied seines Vaters verschmerzt, denn auch unter der Regierung der weisen Athyrtis und ihrer Räte war es glücklich, und Tnephachtus war klug genug, von alledem, was sie Gutes stifteten, sich das Verdienst zuzueignen.
Die auswärtigen Unternehmungen des Königs waren gleichfalls von gutem Erfolg, alles, was Beziehung auf Ägypten hatte, schien unter besonderm Segen der Götter zu stehen. Unablässig kamen Nachrichten von den großen Fortschritten des Eroberers an die Ufer des Nils. Äthiopien, die Inseln des Meers und ganz Indien bis an den Ganges war bereits sein. Dies war mehr, als der Oberpriester gedacht hatte, und für seine Wünsche war es allzuviel. Er würde vor der Wiederkunft des Weltbezwingers gezittert haben, denn noch waren seine eigenen Anschläge unausgeführt, hätte er nicht gewußt, daß es unmöglich ist, von dem berauschenden Trank des Heldenruhms zu kosten, ohne nach noch tiefern Zügen lüstern zu werden. Er wußte es voraus, daß der, welcher schon soviel gewonnen hatte, nicht säumen würde, seine Siege noch weiter auszudehnen, und damit diese Mutmaßung gewiß erfüllt werden möchte, sorgte er immer dafür, daß nahe um den König einige von seinen Kreaturen waren, die stets zu demjenigen rieten, was in die Pläne der Bosheit taugte.
Die klagende Stimme der Königin Omphis, welche, da man schon soviel gewonnen hatte, ernstlich zum Rückzug riet, ward nicht gehört, die Worte der Ratgeber, die dem Eroberer Skythien, Kolchis, Klein-Asien und die Inseln des Archipelagus als freie leicht zu ersiegende Beute schilderten, fanden bessern Eingang. Der falsche Oberpriester, welcher hier überall wirksam war, hatte beschlossen, wenn ja ein wunderbaes Glück den Helden durch all diese gefahrvollen Unternehmungen unverletzt hindurchbringen sollte, ihn bis in das ferne Europa zu locken und ihn durch die weite Entlegenheit und all die Schrecknisse dieses verschrieenen unbekannten Landes desto gewisser zu fällen.
Alles, was der heimtückische Planmacher im Sinn hatte, gelang. Sesorchis kam zwar, zum größten Kummer seines Feindes, immer weiter auf seiner Heldenbahn, aber Tnephachtus auch immer weiter auf dem Wege zur Krone. Er besaß schon alle Macht und allen Reichtum des Landes, besaß sogar die Liebe des Volks. Er war König. Auch König zu heißen, hinderte ihn nichts als das Leben der Thronerbin. Doch Athyrtis war ja in seiner Hand. Das Mittel, sie zu fällen, war leicht. Es bedurfte weder des Gifts, noch des Meuchelmords , es bedurfte keines Blutgerichts noch öffentlicher Verbrechensbeschuldigung und Beraubung ihres Lebens, er durfte nur ihren Wünschen nachgeben, durfte ihr nur zulassen, sich in Abgründe zu stürzen, nach welchen die Törichte lüstern war, und jede seiner Absichten war erreicht.
Athyrtis war dahin, und er konnte öffentlich vor dem Volke schwören: – (Auch der ärgste Bösewicht scheute damals noch den Meineid) – er habe ihr Blut nicht vergossen.
Seit Sesorchis das Land verlassen hatte, verging kein Tag, da nicht Athyrtis den Oberpriester an die Geheimnisse der Iannes und Iambres erinnerte und ihm Vorwürfe machte, daß er sie durch Versprechungen in Ägypten zurückgehalten habe, deren Erfüllung sie nun so lang vergeblich erwartet hatte.
Die Zeit war eingetreten, da Tnephachtus nicht länger taub bei ihren Bitten bleiben wollte. – Er kannte die unbezwingbare Begierde, die sie nach verbotenen Dingen hatte, und hielt es also nicht für gefährlich, ihr alle Gefahren, welche ihr bei Erfüllung ihrer Wünsche bevorstanden, mit den lebhaftesten Farben zu schildern, gleich als wollte er dadurch sein eigenes Gewissen bewahren. Er war überzeugt, daß dieses alles nichts fruchten, daß Athyrtis dennoch auf ihrem Sinne beharren und – er entschuldigt sein würde.
"Unglückliche," rief er am letzten Tage vor der Entscheidung des Schicksals der verblendeten Prinzessin, "du rennst in dein Verderben! Du willst Wege gehen, welche nie ein Weib betrat! Schon habe ich dir gestanden, daß ehemals die unmögliche Entdeckung des Grabes des großen Osymandias nur Mittel sein sollte, dich von deinem Untergang zurückzuschrecken. Dein unauslöschlicher Durst nach verbotenem Wissen ließ dich alles versuchen. Du hast mit dir deinen Vater in Unternehmungen gezogen, die ihn von seinem Lande entfernten und ihn vielleicht noch um Krone und Leben bringen werden. All dieses schreckt und warnt dich nicht: nun wohlan, so muß ich deutlicher mit dir reden, so muß ich dir die Gefahren näher zeigen, welche auf dem Wege, den du vor dir hast, dich mit der Zerstörung deines eigenen Wesens auf die grausamste Art bedrohen:
Du wirst verborgene Pfade hinabsteigen in die Reiche der Nacht. Feuer und Wasser werden dich bekämpfen. Die Bewohner des Mittelpunkts der Erde werden nicht sobald deine Gegenwart, die Gegenwart eines Weibes, ahnden, so werden sie wider dich wach werden, dich durch tausend Qualen zu vernichten; vielleicht entkommst du ihren blutigen Händen, aber nichts rettet dich von dem Abgrund der alten Nacht, von den finstern Regionen des anarchischen Chaos, das dort unten tobt; Äonen lang werden alle seine Kräfte aufgeboten werden, die Grundstoffe deines Wesens zu zerstören, umsonst! Du wirst leben und leiden ohne Aufhören. Überwindest du endlich, nun so dämmert dir vielleicht einmal der Tag der Weisheit, nach welcher du lüstern bist und welche vor dir nie ein Weib errang; aber bedenke, wie lang es bis zu diesem entfernten Zeitpunkte ist und wie klein dir vielleicht selbst alsdenn der Gewinn, den du erringst, gegen die Leiden dünken wird, durch welche du ihn errungen hast.
Tnephachtus hatte seine Bilder mit zu starken Farben gezeichnet, als daß sie auf die Prinzessin einen Eindruck hätten machen sollen; sie kannte die hyperbolische Art, deren sich die Priester, deren Oberhaupt sie vor sich hatte, im Reden zu bedienen pflegten. Sie verstand nicht, was man ihr sagte, sie wollte es nicht verstehen, und – beharrte auf ihrem Sinne.
Des andern Tages übergab Tnephachtus die Schülerlin der verborgenen Weisheit, nachdem er sie nochmals vor allem Volke ermahnt und eingesegnet hatte, den Priestern, und sie ging den Weg, – den sie nie wieder zurückkommen sollte.
Das Volk wartete ein Jahr lang auf ihre Rückkehr, es betrauerte sie als eine Tote, es verehrte sie weiterhin als eine Göttin, es bauete ihr Tempel und Altäre, aber Tnephachtus war König, nicht bloß der Macht, sondern auch dem Namen nach. Der Gewißheit von dem Tode der Prinzessin folgte die Nachricht von dem Untergange, den Sesorchis in dem wilden, weit entfernten Europa, mitten in seinen Siegen gefunden haben sollte. Der Oberpriester war nach ihm der Nächste zu Kron und Thron, kaum war es nötig für ihn, da er bereits das Zepter in Händen hatte, zu erweisen, daß er der Sohn des Königs Möris und der schönen Chaldäerin sei, man glaubte ihm indessen alles, was er wollte, auch das unwahrscheinlichste, dieses war damals eins der Vorrechte der Könige von Ägypten.
Tnephachtus sahe nicht sobald seinen Thron unerschütterlich befestiget, so hielt er es für gut, die Larve, die er bisher zur Erreichung seiner Absichten getragen hatte, völlig abzulegen. Das Volk sahe ihn, wie er war. Der vorgebliche Beglücker des Landes war ein Tyrann. Man sagt, die Menschheit bringe keine Ungeheuer hervor, welche das Böse ohne Rücksicht auf Vorteil, um des Bösen willen, lieben sollten, aber bald möchte ich behaupten, Tnephachtus sei eine schreckliche Ausnahme von dieser Regel gewesen.
Man mute mir nicht zu, seine Untaten zu schildern. Vielleicht war es die Verzweiflung, welche sie ihm eingab, die Verzweiflung, so viele Jahre lang eine so unselige Mühe aufgewandt, so manches Verbrechen begangen zu haben, ein Gut zu erlangen, das ihn nun nicht beglückte. Er suchte Heilung der Schmerzen, mit welchen ihn die Furien marterten, in Häufung neuer Missetaten. Er entsagte öffentlich den Göttern und fluchte der Asche derjenigen, für deren Abkömmling er sich ausgab. Um diesen Untaten ewige Dauer zu geben, ließ er sie in Erz und Marmor hauen. Wenn Ihr die Ruinen von Theben, der verheerten Königsstadt, die damals blühte, besuchet, so werdet Ihr noch ein Denkmal von der Schande des großen Verbrechers finden.
"Fluch den Königen Menes und Möris!" so lautet die Inschrift [Fußnote] eines entweihten Steins: "Fluch den Sklaven der Götter! Sie stifteten ihrem Osiris und ihrer Isis, die Menschen waren wie sie, Tempel und Opfer; sie lehrten dem im Staube entsprossenen Geschlecht, das sich für den Hauptzweck der Schöpfung hält, den Korn- und Ölbau, sie gewöhnten es durch üppigen Genuß des Weines und durch den Zauber der Tonkunst, sich im Taumel der Lust für Götter zu halten. Tnephachtus, welcher es erfahren hat, daß dem Menschen keine Freude ziemt, ruft feierlich den Fluch über das Andenken derer, welche Schmeichler des Menschengeschlechts waren, nicht seine Beglücker!"
Tnephachtus konnte fast nicht elender werden, als er durch sein verwahrlostes Herz mitten im Schoß des Glücks war, doch die erzürnten Götter bestimmten ihm, nachdem sie jahrelang seinen Taten schweigend zugesehen hatten, eine Strafe, welche ihre beleidigte Ehre vor der Welt noch in die Augen fallender rächen sollte, als es die heimlichen Gewissensqualen des Verbrechers konnten.
Das Unerwartetse geschah, was sich ereignen konnte, was die Guten im Volke sich schon längst nicht mehr zu hoffen getrauten und wovor sich der Tyrann schon seit Jahren nicht mehr fürchtete. Sesorchis, der nun zehnmal in den entferntesten Gegenden der Erde den Frühling sich erneuern gesehen, der seine Eroberungen bis an den Strom ausgedehnt hatte, welcher die äußersten Grenzen des wilden unbekannten Europa ausmacht [Fußnote], der siegreiche Sesorchis, seiner Eroberungen müde, kehrte zurück. Er hätte noch dreimal mächtiger sein müssen, als er war, um sie alle zu behaupten.
Er mußte sich begnügen, hier und da Städte mit seinem Namen genannt, hier und da Bildsäulen als Denkmale seiner Siege errichtet zu haben; männliche mit Schild und Schwert, wo er männlichen Widerstand fand, weibliche mit Rocken und Spindel, wo man sich ihm zaghaft, ohne Gegenwehr ergab. Dieses nebst vieler Beute und einer ungeheuern Menge Sklaven war der einzige Gewinn, den er von seinen Siegen hatte. Ein wenig Weltkenntnis und aufgeklärte Denkart, die er mit sich brachte, war jedoch nicht bei der Berechnung der gemachten Beute zu vergessen. Das Grab des großen Osymandias hatte er nirgends gefunden, es aber auf die Letzt auch wenig gesucht, und als er jetzt in Ägypten wieder ans Land stieg und der Traum seiner jüngern Tage, die Ursach der Reise, die ihn zehn der schönsten Jahre seines Lebens gekostet hatte, ihm lebhafter vorschwebte, da war's ihm gar eigen, als hätte man ihn guten Fleißes einem Hirngespinst nachgeschickt und als zieme es ihm, Rache an dem Verwegenen zu nehmen, der ihn aus verräterischen Absichten solchergestalt von seinem Lande entfernen durfte.
Daß Tnephachtus gegenwärtig in Ägypten nicht als Statthalter, sondern als König herrschte, davon war ihm das Gerücht bereits auf dem Indischen Meere entgegengekommen. Die Nachricht von dem Verlust seiner Tochter erhielt er in der Ebene von Said. Heiße Tränen flossen um sie, doch noch bitterer würde Athyrtis betrauert worden sein, hätte die Königin Omphis nicht ihren Gemahl auf der Reise mit zwei Prinzen beschenkt, davon der eine das fünfte und der andere das siebente Jahr noch nicht zurückgelegt hatte. Sie waren die Wonne ihres Vaters; das Herz ihrer Mutter hing an ihnen. Schön wie Liebesgötter und klug wie kleine Genien versprachen sie ihrem Vater reichen Ersatz dessen, was er etwa an seiner unglücklichen Tochter verloren haben konnte.
König Sesorchis rüstete sich, dem verräterischen Besitzer seines Throns mit den Waffen zu begegnen. Hätte Tnephachtus sich ihm mit Heereskraft entgegengestellt, er wär verloren gewesen, denn auf Widerstand war derjenige, welcher sich die ganze Erde bis an die Cimmerischen Gegenden unterworfen hatte, wohl gefaßt; auf heimtückische Hinterlist war er es nicht. –
Tnephachtus kam seinem Bruder zu Pelusium entgegen; das Gerücht ging vor ihm her: er erscheine, dem rechtmäßigen Könige von Ägypten Krone und Zepter in die Hände zu legen, die er nur als sein treuer Stellvertreter verwaltet habe.
Der milde Sesorchis ward schon durch diese Sage entwaffnet; noch mehr legte sich sein Zorn, als jetzt Tnephachtus selbst erschien, als der Mann ihm gegenüberstand, den er die meiste Zeit seines Lebens wie einen Bruder geliebt hatte und den sein gutes Herz allem Anschein zum Trotz noch jetzt nicht ungehört als einen Verräter verdammen wollte. Zu dem günstigen Vorurteil, zu der erwachenden alten Liebe gesellte sich Mitleid. Tnephachtus war unglücklich, man durfte ihn nur sehen, um dieses zu wissen. Das Leiden seiner verwahrlosten Seele, seines mit Verbrechen belasteten Gewissens war auf seiner Stirn geschrieben. Sesorchis sah die Folgen seiner heimlichen Qualen, aber ihre Ursachen erriet er nicht. Tnephachtus war binnen der zehnjährigen Abwesenheit des Königs mitten im Schoß königlichen Wohllebens merklicher gealtert als der Weltbezwinger Sesorchis unter den unfreundlichsten Himmelsstrichen, unter Arbeit und Mangel.
Tnephachtus sahe und erriet die Gefühle, die sein Bruder für ihn hegte, und er war klug genug, den günstigen Eindruck zu seinem Vorteil zu verstärken. Man sprach sich eine Stunde lang, ohne gewisse Gegenstände genau zu berühren, die Tnephachtus gern übergangen haben wollte. Nähere Erklärungen wurden für die Zukunft aufgespart. Der Verräter sprach viel von seiner Sehnsucht nach dem Abwesenden, von seinen Leiden um ihn und der drückenden Sorge des Königreichs, und Sesorchis entließ ihn endlich, völlig überzeugt, daß Tnephachtus bloß durch Trauer um ihn, bloß durch für ihn übernommene Mühseligkeiten das elende Geschöpf geworden war, das er jetzt vor sich sah.
Sesorchis dachte, den unglücklichen Bruder auf alle Art zu schonen. Tnephachtus hatte außer wenigen Dienern kein Gefolge bei sich, auch er ließ alle seine Leute einige Meilen zurückgehen und behielt nur soviel Personen bei sich als zu seiner und der Königin Bedienung unumgänglich nötig waren. Einige Zelte wurden den Zelten des Tnephachtus gerade gegenüber aufgeschlagen. Morgen wollte man sich bei einem gemeinschaftlichen Mahle ausführlicher sprechen.
Als die Königin Omphis sich des Nachts in das ihr bestimmte Gezelt begab, um zur Ruhe zu gehen, und bereits alle ihre Leute in die ihrigen entlassen hatte, – (sie pflegte niemand in ihrem Zimmer schlafen zu lassen als ihre Kinder), – da fand sich's, daß sie doch nicht allein war. Eine kleine Alte saß in einem Winkel des Zeltes bei einem Feuer von Lotosblättern, das nicht wenig dampfte, und schien die eintretende Königin nicht einmal gewahr zu werden. Omphis, immer sanfter und gefälliger, als sonst Königinnen zu sein pflegen, war durch ihre weiten Reisen und die mancherlei Mühseligkeiten, die sie auf denselben so gut als der geringste unter König Sesorchis' Leuten ausgestanden hatte, noch mehr von dem Stolze geheilt worden, den Fürstinnen sonst bewegt, jede Beleidigung ihrer Hoheit, jede kühne Annäherung der Geringern streng zu ahnden.
Sie erzürnte sich nicht über die Anwesenheit der fremden Frau; sie fragte sie bloß, was sie hier mache?
"Ich wärme mich, Königin!" war die Antwort.
"Ist das der einzige Ort, wo du dich wärmen könntest?" fragte Omphis lachend.
"Laß mir diesen!" antwortete sie. "Kenntest du mich, du würdest mir die Ruhe unter deinem Gezelt nicht versagen!"
"Wer bist du?"
"Du wirst mich einst kennenlernen. Sterbliche haben unter der Hülle hilfloser Fremdlinge oft Götter beherbergt."
"Du erinnerst mich an den Besuch der großen Isis im Hause der Königin Astarte," versetzte die fromme Omphis mit Andacht.
"Ich bin nicht Isis, aber ich will dir deine Gastfreiheit lohnen, wie sie dieselbe der phönizischen Königin belohnte."
"Die Götter bewahren meine [Fußnote] Kinder!" schrie Omphis mit einer schreckensvollen Miene!
"Du hast Kinder? – Zeige mir sie, daß ich sie küsse!"
Omphis holte die Knaben, die man schon zur Ruhe gelegt hatte. Die Alte drückte sie an ihre Brust, segnete sie und weinte über ihnen. Aber, ehe sich es die Königin versah, lagen beide im Feuer, es vergrößerte sich, und Dampf und Glut schlugen über ihnen zusammen.
"Entsetze dich nicht!" sagte die Alte, welche die halb ohnmächtige Königin abwehrte, sich dem Flammenbette zu nahen, wo ihre Söhne ruhten. "Dieses Feuer verletzt deine Kinder nicht, es härtet sie für die Begebenheiten des künftigen Tages. Von dieser Glut bewährt, kann keine irdische Flamme sie beschädigen. Merke dir dieses und nutze es, wo du es nutzen kannst. Glücklich sind die Söhne des großen Sesorchis, wenn sie ihrem Vater besser dienen können, als die unglückliche Athyrtis es vermochte. Möchten sie doch die Vergehungen ihrer Schwester aussöhnen!"
Der Königin kam, als die letzten Worte der Alten in der Luft verhallten, ein Schauer an. Das ganze Gesicht, (für Gesicht mußte sie es halten,) war verschwunden. Von der Fremden und von dem Feuer war keine Spur mehr zu sehen. Alle Lichter waren verloschen. Die Königin hörte ihre Kinder sanft auf ihrem Lager atmen; sie tappte in der Dunkelheit nach denselben, um sich von der Gewißheit zu überzeugen. Ein Kuß auf ihre Wangen und der Name Mutter, den beide im halben Erwachen lallten, versicherte sie völlig. Sie warf sich auf ihr Lager, sie sank in tiefen Schlaf und würde am Morgen das Ganze für Traum gehalten haben, hätte nicht ein Häufchen halb verbrannter Lotosblätter, welches ihre Leute auf der Stelle fanden, die ihr noch wohl erinnerlich war, der Sache ein anderes Ansehn gegeben.
Doch sie schlug sich dieselbe aus dem Sinne und rüstete sich, der gestern genommenen Verabredung nach, heute nebst ihrem Gemahl und den beiden kleinen Prinzen bei dem Mahl zu erscheinen, das Tnephachtus in seinem Gezelte, das Fest der Wiederkehr seines Bruders zu feiern, bereitet hatte. Nur diese fünf Personen sollten die Tischgesellschaft ausmachen; der edle Sesorchis wünschte, es möchte niemand gegenwärtig sein, wenn es zwischen ihm und seinem Bruder zu Erklärungen käme, die doch vielleicht denselben hier und da in Verlegenheit setzen könnten.
Die Bewillkommnung schien von allen Seiten herzlich zu sein; doch Wahrheit und Redlichkeit befand sich nur bei dem guten Könige und den Seinigen; im Herzen des falschen Oberpriesters – (diesen Titel beliebte der bisherige König von Ägypten wiederanzunehmen) – brütete teuflische Bosheit. Sie glimmte sichtbar in seinen falschen Augen, sie malte sich gräßlich auf seinen bleichen verzogenen Wangen, doch Sesorchis und seine Gemahlin, die keine großen Gesichtskenner waren, sahen hier nichts, was in ihnen schreckensvolle Ahndung erregen konnte; ihre Herzen fühlten nur Mitleid und waren begierig, alle die Unfälle zu vernehmen, die ihren geliebten Bruder aus dem schönsten Manne in ganz Ägypten zu einem Gespenst hatten machen können. Die Kinder schienen sich ein wenig vor ihm zu fürchten, doch auf einiges Zureden ihrer sanften Mutter nahten auch sie sich, sahen mit unschuldiger Holdseligkeit zu ihm auf und kamen seinen Küssen entgegen.
Tnephachtus bat, während der Mahlzeit möchte nichts von Untersuchungen vorkommen, welche den Geist der Fröhlichkeit vertreiben könnten; Sesorchis versprach's, und die Königin bat nur um Freiheit, nach ihrer Tochter fragen zu dürfen.
"Ihr haltet sie für tot, ich weiß es," antwortete der Oberpriester; "aber, was würdet ihr sagen, wenn ich sie lebend in eure Arme führte?"
Freudentränen stürzten aus den Augen der schönen Omphis, sie faßte die Hand des falschen Tnephachtus und konnte nur ein: "Sollte es möglich sein?" über die Lippen bringen. – Sesorchis fühlte nicht viel minder als sie. Die Knaben riefen jauchzend: sie hätten diese Nacht von ihrer Schwester Athyrtis geträumt, und Tnephachtus bat, man möchte nur erst die Mahlzeit geendigt sein lassen, so wolle er selbst gehen, die Prinzessin herbeizuholen.
Unglücklicher Sesorchis! Betrogene Omphis! Daß ihr nicht in der Entfernung des Tyrannen das Signal zu dem schrecklichsten Tode ahndetet! –
Sie befanden sich ganz in der Gewalt des Bösewichts, die wenigen Leute, die sie um sich hatten, welche in einem entfernten Gezelt von den Bedienten des Oberpriesters bewirtet wurden, waren schon längst unter dem Schwert ihrer verräterischen Wirte gefallen. Tnephachtus hätte die königliche Familie auf ähnliche Art hinrichten lassen können, doch dieser Tod war ihm zu gemein für die Gehaßten. Langsam und nicht ohne Qualen sollten sie sterben. Der Gottesleugner Tnephachtus kannte nur eine Kraft in der Natur, der er etwas Göttliches beimaß, sie war das alles zerstörende Feuer; ihm wollte er seine Feinde opfern. Das Zelt, in welchem er sie bewirtet hatte, war zum Opferaltar zugerichtet, und so, wie er den Fuß aus demselben setzte, war der Stab über die Verurteilten gebrochen.
Sie ahndeten nichts hiervon. Omphis rief noch dem Verräter nach: ihr sehnendes Herz nicht zu lang auf den Anblick der geliebten Tochter warten zu lassen, und wandte sich dann zu ihremn Gemahl, einige entzückte Worte über das nahe Glück mit ihm zu wechseln; aber kaum soviel Zeit, als man zu Rede und Gegenrede nötig hat;, und die Sprechenden wurden auf die schrecklichste Art unterbrochen. Ein bläulichter Duft zog sich über die Tafel und erfüllte das ganze Gezelt. Die Seitenwände begannen zu dampfen und zu glimmen, dort loderte schon ein Teil der geölten Leinewand, aus welcher dieselben bestanden, hell in die Höhe; hier wehte ein Wirbelwind, der durchhinpfiff, die Flamme von einer andern Seite der erschrockenen Tischgesellschaft, welche voll Entsetzen aufgesprungen war und sich in eine Gruppe zusammenschmiegte, über die Häupter. Die Decke des Baldachins flammte bereits über ihnen und drohte einzustürzen. Die Geschwindigkeit ist nicht zu schildern, mit welcher die erste Vorstellung von dem einbrechenden Unglück zum Gefühl völliger Hüilflosigkeit überging.
Der König nahm seine Gemahlin, die den kleinen Asychis auf den Armen trug, an die eine, den ältesten Prinzen Amosis an die andere Hand und suchte sich einen Weg durch die Flammen zu bahnen; aber welch Entsetzen! Das mörderische Zeit war mit einem flammenden Pfuhl umgeben, der zwar nicht breit war, aber doch jede Flucht unmöglich machte. Voll Verzweiflung eilte man auf diese, auf jene Seite, überall eine Aussicht wie in den Abgrund der Hölle und die Gewißheit unvermeidlichen Verderbens! Schon fingen die Kleider des Königs Feuer, der Knabe auf dem Arm der Königin breitete die seinigen über sie, als wollte er sie vor den Flammen schützen. Die Kinder lächelten wie die Engel, während sich die Verzweiflung auf dem Gesicht ihrer Eltern malte.
"Denkst du an unsern Traum, Asychis?" fragte der älteste Prinz, indem er zu seinem kleinen Bruder aufsah. "Ja, Amosis," antwortet das Kind, "ich denke daran."
"Meinst du, daß es Zeit sei, zu tun, wie Athyrtis sagte?"
"Ja, Bruder! Laß uns eilen, ehe es zu spät ist! Zwar zittre ich, doch laß uns eilen!"
Asychis wand sich mit diesen Worten aus den Armen seiner Mutter und stürzte sich über den flammenden Pfuhl, der das Gezelt umzog, indessen Amosis seinen Vater beim Gewand faßte und, verständiger als sein Bruder, welcher gehandelt hatte ohne zu sprechen, ihm begreiflich zu machen suchte, daß er sich jetzt gleichfalls über den Feuergraben breiten und daß sein Körper einen Weg für den großen Sesorchis bilden würde, unversehrt durch die Glut zu kommen.
"Mutter," rief Asychis der halb ohnmächtigen Königin, "eile doch! Rette dich und nimm mich dann mit dir, mir ist nicht ganz wohl in diesem Flammenbette!" Amosis rief seinem Vater auf ähnliche Art zu, auch war's, als wenn in diesem Augenblicke eine verborgene Gewalt den König und die Königin ergriff und sie nötigte, den schrecklichen Weg aus den Flammen über die Körper ihrer Kinder zu gehen, [Fußnote] den sie freiwillig wohl nicht gegangen sein würden.
Beide waren gerettet und sahen sich voll Erstaunen an. Die Knaben rissen sich unversehrt aus den Flammen und warfen sich in ihre Arme. "Laß uns fliehen, laß uns fliehen, Mutter!" rief der kleine Asychis, "daß uns die Flamme nicht erreiche!" "Zaghafter!" schrie der älteste Prinz, der an der Hand seines Vaters beherzt zurück in die Glut sah, "wie schlecht hast du begriffen, was unsere Schwester sagte! Mir war wohl in dem Flammenbette, das mich nicht versehren konnte, ich wollte wohl, es wär mir etwas übler gewesen, damit ich mich rühmen könnte, etwas für meinen Vater gelitten zu haben."
"Aber, um der Götter willen, meine Kinder!" schrie Omphis, welche jetzt erst zu Worten kommen konnte, "Was sind dies für Wunder?"
"Weiter kein Wunder, meine Mutter!" antwortete Asychis, "als daß uns beide diese Nacht geträumt hat, wie eine Person, die sich unsere Schwester nannte und die wir nicht kannten, ob ihr uns gleich oft von ihr sagtet, uns im Feuer härtete und uns tun lehrte, wie ihr gesehen habt. Mir ist's lieb, daß es vorüber ist, denn ich fürchtete mich sehr vor den Schmerzen des Feuers, ungeachtet mir es mitten in der Glut nicht anders war wie in einem kühlen Bade!"
"Lieblinge des Himmels! Geschenk der Götter!" schrie Sesorchis, der die kleinen Retter seines Lebens an seine Brust drückte. "Welch eine Tat im Anfang eures jugendlichen Leben! Was wird aus euch werden, wenn ihr so fortfahrt, wie ihr begonnen habt!"
Die Königin Omphis zerfloß in Tränen. Sie dachte an ihr eigenes Gesicht, das sie ihrem Gemahl mitteilte. Sie hatte noch tausend Fragen an die Kinder über ihre Schwester Athyrtis, aber sie konnten ihr nicht mehr sagen, als sie bereits wußte.
Der immer noch furchtsame Asychis drang auf mehrere Entfernung von dem flammenden Schreckensort. Noch einmal sahe man zurück in die Glut. Das Ganze stürzte eben zusammen, und ein gellendes Geschrei wie von einer Menschenstimme aus tiefer Ferne beschloß die Greuelszene, von welcher man nun mit verdoppelten Schritten hinwegfloh.
"Wo werden wir nun Zuflucht finden?" sagte Omphis im Fliehen, "daß uns die Wut des Tyrannen nicht noch ereile?"
"Er ist nicht mehr!" antwortete Asychis. "Dort, das Häufchen schwarze Asche, bei welchem wir eben vorüberkommen werden, ist das Überbleibsel seines verworfenen Körpers. Von diesem Hügel wollte er unsern Untergang ansehen, aber ihn selbst verzehrte des Rachfeuer des Himmels."
Der König und die Königin sahen den kleinen Redner mit Erstaunen an, welcher einen kurzen Verweis von seinem ältern Bruder wegen verletzten Stillschweigens über gewisse Dinge erhielt. Doch nicht lang, so fiel der gute Amosis in den nämlichen Fehler.
Sesorchis hielt, als man mit Grauen vor der Asche des gerichteten Tnephachtus vorübergeeilt war, noch einmal Rat mit seiner Gemahlin, wohin man nun sich wenden wollte. Sie stimmte auf Rückkehr zum Heer, aber der älteste Prinz bat, man möchte sich nicht bedenken, den Weg nach der nahen Residenz vollends zurückzulegen, wo alles zu ihrem Empfang in fröhlicher Unruh sei. "Die hundertundneunundneunzig Männer," setzte er hinzu, "die mit meinem Vater erzogen wurden und die er dem Lande zu Regierern überließ, waren nicht alle Verbrecher wie der, welcher ihre Zahl voll machte, der treulose Tnephachtus. Die Guten hatten ein großes Übergewicht über die Bösen, und sie sind es eben, die das Volk zum Empfang ihres Königs bereiteten und die euch gerettet oder am Tnephachtus gerächt haben würden, wenn die Götter hier nicht selbst gehandelt hätten."
Es lag am Tage, daß die Söhne des Königs von Ägypten vom Geist der Weissagung beseelt waren und daß die Gabe, im Feuer unverletzlich zu sein, welche sie ihr ganzes Leben hindurch behielten, noch die kleinste war, welche ihnen der Himmel verliehen hatte. Ihre Eltern sahen sie mit Ehrfurcht an und dankten den Göttern; aber sie schwiegen, weil sie nicht wußten, wie sie sich in Gegenwart dieser Kinder mit Anstand hierüber erklären sollten.
Man hatte die Hauptstadt noch bei weitem nicht erreicht, so sah man bereits eine große Menge Volks sich dieser Gegend nahen. Sie schienen von der Ankunft ihres guten Königs vollkommen unterrichtet zu sein, sie trugen ihm Palmen entgegen und empfingen ihn mit Lobgesängen. Die hundertundneunundneunzig Regenten des Landes führten den Zug. Sie trugen alle die Miene hocherfreuter redlicher Treue auf dem Gesicht, aber die Prinzen belehrten in der Stille ihre Eltern, welchen sie zu trauen hatten. Omphis fragte diese Leute, wo sie die Prinzessin gelassen hätten, die man bei der Reise in das Ausland ihrem Schutze anvertraute; einige antworteten mit weitläuftigen Entschuldigungen, andere mit Schweigen und einer Träne im Auge; schon dieses war genug, diese Leute zu charakterisieren, wenn man sie auch sonst nicht gekannt hätte.
Die Königin Omphis konnte mitten in der Herrlichkeit und Ruhe, die sie nun umgab, die geliebte Tochter nicht vergessen. Den König beschäftigten die Angelegenheiten seines Reichs, sie hatte übrige Muße, die unglückliche Athyrtis überall zu vermissen und ihrem ungewissen Schicksal mütterliche Tränen zu weinen.
Als einst diese gute Königin bei einbrechendem Abend einsam auf ihrem dämmernden Zimmer saß und sehnend wünschte, nur zu wissen, was aus ihrer Tochter geworden sei, da bebte auf einmal unter ihren Füßen der Boden. Eine kleine Flamme fuhr herauf, und die Alte stand vor ihr, welche ihr die Nacht vor der schrecklichen Feuerszene auf der Ebene von Pelusium erschienen war.
"Da bin ich und lebe, o Omphis," rief sie, nachdem sie die Königin eine Weile angesehen hatte, "umarme mich, Mutter! Ich bin Athyrtis, deine Tochter!"
"Du bist meine Wohltäterin, die Retterin meines Lebens," schrie die Königin, die sie fest an den Busen drückte, "dieses sagt mir mein Herz, und in dem Augenblicke, da ich dir danken kann, ist Athyrtis vergessen. Du hast nicht nötig, ihren Namen zu borgen, um mir teuer zu sein."
"Ihr verstoßt mich!" rief die Fremde mit einem traurigen Blicke, der sie nicht verschönerte, "ihr verleugnet die Stimme eures Herzens, weil euch meine Gestalt nicht schmeichelt."
"Wie?" sagte Omphis voll Erstaunen, "sollte es möglich sein, daß du wahr redetest?"
"Unmöglich scheint es freilich," erwiderte Athyrtis, "mit einem Blick auf einen großen Spiegel! Die Mutter noch in fast jugendlicher Blüte, die Tochter eine zusammengeschrumpfte Alte! Doch ich habe gelitten, was keine Jahrhunderte fassen, der Verfall meines Körpers ist nicht zu bewundern. Auch traure ich nicht über ihn: diejenigen, deren Wert nur in dem besteht, was das Auge reizt, mögen weinen, wenn Kummer und Jahre ihren einstigen Vorzug vernichten; der Geist, welcher nie altert, wird durch das, was den Körper zerstört, nicht herabgewürdigt, nur veredelt."
Es war sehr schön, was Athyrtis sagte, doch die Tränen, die dabei aus ihren Augen flossen, ließen fast bezweifeln, ob die große Wahrheit, die ihre Worte enthielten, auch ganz von ihr gefühlt wurde. Sie war ein Frauenzimmer, und wir müssen ihr hierin, so weise sie auch war, schon etwas zuguthalten.
Auch die Königin weinte bei dem, was ihre Tochter sagte. Es schien ihr noch immer unmöglich, sie so wieder zu finden. Tausend Fragen über das Wie? und Wodurch? schwebten auf ihren Lippen, aber siehe, da hüpften die Prinzen herein und verhinderten, was sie sagen wollte.
"Sie ist's! sie ist's!" schrie der kleine Asychis, der sich der Fremden in die Arme stürzte, "es ist unsere Schwester Athyrtis! Sprich, Geliebte! Haben wir nicht wohl ausgerichtet, was du uns lehrtest?"
Amosis umschlang indessen die Knie dieser wunderbaren Person, er nannte sie die Lebensretterin seiner Eltern und dankte ihr auf eine Art, welche den Verstand weit übertraf, den seine Jahre mit sich brachten.
Die Königin zerfloß in Tränen über die Szene, die sie vor sich hatte. Sie mußte glauben, was sie sah. Sie schloß die drei Kinder des großen Sesorchis in ihre Arme und nannte sich die glücklichste Mutter, der Erde solche Bürger gegeben zu haben.
"Nennt mich keine Erdenbürgerin mehr," sagte Athyrtis, "o Mutter, ich gehöre nur halb unter die Zahl derer, welche ihr, die noch nie den Tod schmeckten, Lebendige zu nennen pflegt. Ich habe ihn tausendfach empfunden. – Sehet hier die Ursach der Änderung, die ihr an mir wahrnehmt. Die Ursach, warum ich euch nur auf Augenblicke sehen kann, warum ich bald, bald zu denen zurückkehren muß, in deren stille Gesellschaft ich mich besser schicke als in die eurige!"
"Fluch über den treulosen Tnephachtus!" schrie die Königin: "Er war es, der diese Blume in ihrer Blüte verheerte."
"Ich klage über niemand!" antwortete Athyrtis. "Mein eigner Vorwitz war mein Fall. Stolz, Eitelkeit, Durst nach verbotenem Wissen und mancher daraus entspringende falsche Zug meines Charakters konnte vielleicht nicht anders bestraft, nicht besser ausgetilgt werden als durch die Qualen, die ich litt!"
"Aber werden wir nie erfahren, was mit dir vorging?"
"Ich dürfte euch nur die Worte wiederholen, mit welchen Tnephachtus, sei es aus wahrem oder falschem Herzen, mich vor dem Schritte warnte, der mich ins Verderben stürzte, so würdet ihr in ziemlich gut getroffenen Bildern alles wissen. Ich habe gewagt, was vor mir nur ein Weib wagte. Es war die große Semiramis. Die Geschichte von ihr ist euch bekannt, und sie ist ungefähr die Meinige. Semiramis stieg einst hinab in die unterirdischen Wohnungen verbotener Weisheit, sie unterzog sich Prüfungen, die nicht für weibliche Kräfte gemacht sind, aber als man ihr die glühende [Fußnote] Stirnbinde umlegte, um sie auch durchs Feuer zu bewähren, da verließ sie die mühsam erhaltene Fassung. Ein durchdringendes Geschrei , das sie ausstieß, verriet den öden Wohnungen der Toten, daß hier ein Weib sei, durch ihre Gegenwart die heiligsten Geheimnisse der Isis zu entweihen. Die unterirdischen Rachheere, welchen jene große Königin mit Mühe entging, wurden auch wider mich wach. Immer auf dem Punkte, erreicht zu werden, flohe ich jahrelang durch die innersten Regionen der Erde vor meinen wütenden Verfolgern, bleichen Grabgestalten mit Totengebeinen bewaffnet, die sie fürchterlich gegen mich schwangen. – Zuletzt – doch, was soll ich euch Geheimnisse enthüllen, welche besser verborgen bleiben. Meine Gestalt ist die beste Schilderung von allem, was ich weiter sagen könnte. Der Lohn all meiner Leiden war endlich in der Tat eine etwas edlere Existenz, als die gemeinen Sterblichen haben, und ein höherer Grad des Wissens, als euch beschieden ist, aber – – Laßt mich abbrechen!
Gegenwärtig bin ich Oberpriesterin im Tempel des Hephästos [Des Gottes Phtah oder des Feuers], eine Stelle, die mich zu der Hilfe, die ich euch in eurer schrecklichsten Stunde geleistet habe, geschickter machte als zu irgend einer andern, die mich aber auch verbindet, euch nur selten zu sehen. Lebt wohl! Lebt wohl! Allemal mit den ersten Strahlen des Neumonds sehet ihr mich wieder."
Was Athyrtis versprochen hatte, geschah und, o wie sehnlich sah man allemal dem ersten Schimmer des wiederkehrenden Planeten entgegen! – Auch König Sesorchis versäumte selten, seine Tochter zu sehen. Mit ihrer geänderten Gestalt war man bald ausgesöhnt, da niemand ihr die Verschönerung und Veredlung ihrer Seele abläugnen konnte, sie war groß und erhob sie zu den Geistern des Äthers; doch wollte ich Euch, ihr Töchter der großen Termuthis, nicht raten, ähnliche Vorzüge auf ähnlichen Wegen zu suchen, solange die Pfade zu erlaubtem Wissen noch leicht und lieblich sind und die Welt bei vieler Schönheit, Gutmütigkeit und Tugend uns mittelmäßige Weisheit sehr gern zugutehält.
Athyrtis ward in ihren monatlichen Besuchen die Ratgeberin ihres Vates, die Mitbeglückerin seines Volks. – Ägypten blühte unter dem großen Sesostris, dieses war der deutungsvolle Name, mit welchem man den mächtigen Weltbezwinger gegenwärtig nannte. Es reute ihn, sich denselben mit soviel Zeit und Mühe erkauft zu haben. Er fand, daß er alles das, was ihn jetzt erst zum guten Könige machte, zehn Jahre früher hätte tun können.
Er begünstigte den Ackerbau und schützte Handel und Gewerbe. Er gewann dem Nil durch künstliche Kanäle viel Grund ab und sicherte das Land durch eben dieses Mittel vor den Überschwemmungen, insoweit sie die Grenzen überstiegen, die zur Fruchtbarmachung Ägyptens nötig sind und ihm hätten schädlich werden können.
Er führte die große Mauer, von welcher wir den Anfang im Mondlicht von dieser Höhe nur wie eine dünne Wolke sehen, sie reicht von Pelusium bis gen Heliopolis und diente den Völkern des Nils zum Schutz wider die räuberischen Araber.
Erst nachdem Sesostris dies alles und noch viel mehr getan hatte, dachte er daran, seinen Namen durch Tempel, Obelisken und Bildsäulen zu verewigen, die noch heute der verheerenden Hand der Zeit trotzen.
Seine Söhne behielten die ihnen von ihrer überirdischen Schwester verliehenen Gaben; sie wurden nach ihrem Vater Gesetzgeber und Wohltäter Ägyptens. Es gibt noch der Denkmale viele, die ihren Namen unsterblich machen. Wer in den Ruinen von Theben Steine findet, auf welche der Künstler drei mit Flammenkronen gezierte Figuren eingehauen hat, davon die mittelste eine alte Frau, die beiden andern zwei lächelnde Jünglinge vorstellen, der spreche mit frommer Erinnerung: Dies sind Amosis, Asychis und Athyrtis, die Lieblinge des Himmels, die Kinder des großen Sesostris.
Als ich des Nachts, nachdem ich diese Geschichte erzählt hatte, mit meinen Freundinnen Iphis und Nephtis auf meinem Zimmer allein war, erstickten sie mich fast mit ihren Liebkosungen. "Ihr seid ein Wunder, Almé, Rusma!" schrie Nephtis. "Wisset ihr auch, daß wir in den ältesten unserer Prinzessinnen eine zweite Athyrtis haben? Und daß es Euch die große Termuthis ewig danken würde, wenn ihr durch die nachdrücklichen Lehren, die Eure Fabel enthielt, sie zurückgeschreckt haben solltet, Wege zu gehen, auf welche ein Verführer bereit ist, sie zu verlocken? – Ihr kennt den weisen Amur, welcher zuweilen die Pyramiden von Dsyse verläßt, um uns zu besuchen; wir dürfen ihm den Zutritt nicht wehren, denn –"
Iphis unterbrach hier das gesprächige Mädchen, welches bereit schien, bis an den Morgen fortzuplaudern, mit der Anmerkung, daß es spät sei: ich aber, vom vielen Reden ermüdet, ergab mich sehr gern darein, die Kundschaft von den Angelegenheiten der Prinzessin Zaide und des weisen Amur ein andermal zu erhalten.