Unser Leben als Vollzeit Eltern ohne Kinderbetreuung
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Wir wagen es jetzt einfach Mal Kindergarten frei
So. Jetzt ist es amtlich. Der Familienrat hat nach vier qualvollen Wochen einvernehmlich beschlossen, den Alltag als Digitale Nomaden Kindergarten frei zu gestalten. Am 10. September 2019 hätte es los gehen sollen im städtischen Kindergarten hier vor Ort irgendwo an der Mittelmeer Küste, an dem wir seit Jahren hängenbleiben und auch unseren Sohn zur Welt brachten.
Ein Leben ohne Kindergarten - was davor geschah...
Der Kindergarten ist ein glatter Neubau, der seinen Zweck als Gesamtschule erfüllt. Die Einrichtung geniest in der Umgebung einen guten Ruf und es wird geraten Sprösslinge mit Migrationshintergrund den dort tätigen Erziehern frühzeitig zu überlassen zwecks Eingewöhnung in die spanische Sprache.
Eine wichtige Voraussetzung für die Schuleingewöhung ab sechs Jahren. Denn auch in Spanien besteht zumindest Unterrichtspflicht. Und die Amtssprache in der öffentlichen Schule ist selbstverständlich Spanisch. Damit dieser Kindergarten Platz - der beidseitig nicht verpflichtend ist - überhaupt gewährt wird, ist unter anderem ein lückenloses Impfheft von Nöten. Eine Maßnahme die wir zähneknirschend in Kauf genommen hatten, tat er uns doch jedesmal so furchtbar leid, wenn wir ihn sich winden und leiden sahen die 48 Stunden nach jeder Behandlung. Das war nicht fair. Genauso wenig, wie es fair ist Neugeborenen aus den Fersen Blut abzunehmen! Das ist grausam und ich kenne keinen Erwachsenen der sich freiwillig aus der Ferse Blut abnehmen lässt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Zurück zum Kindergarten. Es ist nicht so, dass wir uns an das Thema nicht behutsam herangetastet hätten, oder ihn zu wenig darauf vorbereitet haben. Ganz im Gegenteil! Ich besuche seit seinem 10. Lebensmonat wöchentlich 2x eine Mutter-Kind-Gruppe unter englischer Leitung. Der „harte Kern“ ist über die Jahre hinweg gleich geblieben und es kommen natürlich immer wieder neue Kinder hinzu und alte Kinder fallen weg. Die jüngsten sind zum Teil neu geboren und er hat die Mütter über deren gesamte Schwangerschaft mit erlebt. Die ältesten sind zum Teil schon 10 und schlicht die älteren Geschwister der eigentlichen Teilnehmer. Dann sind da natürlich all die Mütter und Großmütter, die sich gegenseitig in der Spielzeit, die jeweils 2 Stunden beträgt, liebevoll beim trösten, Nase putzen und spielen der Kinder helfen, so dass immer ein paar Zeit für einen Tratsch finden und die anderen mit den Kindern spielen. In der Regel sind mindestens 10 Kinder da und meist geht es hoch her. Irgendwer hat irgendwen geschubst, der eine will das (besetzte) Auto da haben und so weiter und so fort.
Dabei waren wir alle noch nicht auf dem Töpfchen oder haben etwas gegessen beziehungsweise die Bücherregale wieder einmal als Klettergerüste missbraucht... Zwei Stunden „Toddlergroup“ (zu Deutsch: Krabbelgruppe), wie die Engländerinnen unsere wöchentlichen Zusammenkünfte liebevoll nennen, reicht völlig aus als Tagesprogramm. Mir zumindest. Und unserem Sohn in der Regel auch. Naja, je älter er wird, desto weniger „exhausted“ sie ihn. Desto aktiver wird er schlicht und ergreifend. Zu aktiv zuweilen für meinen Geschmack, weswegen seine Karriere als Kindergarten Kind ab Herbst 2019 definitiv zumindest meinerseits gewünscht war. So dachte ich. Selbst der Kleine ist noch freudestrahlend an seinem ersten Tag auf den Eingang zu gerannt. So stolz war er auf seinen Rucksack und mit den Kindern zu spielen. Er wusste ja, dass etliche Kinder, die er aus der Krabbelgruppe bereits seit Jahren kennt, auch dort sind. WAS aber dann passiert ist, damit hatte niemand von uns dreien wirklich gerechnet. Wie so eine Klappe, die Dir plötzlich aus dem Nichts vor den Kopf schlägt, hat uns das getroffen, was dann passiert ist und was uns danach bewusst geworden ist.
Es war eine ganz normale Eingewöhnungswoche. Und dass Kinder beim Abschied da weinen ist normal. Aber erklär das mal einem Kind?! Jemandem, der sich gerade noch offen, freudestrahlend und unbefangen auf seinen neuen Lebensabschnitt freut und plötzlich damit konfrontiert wird, seine Freunde, mit denen er aufgewachsen ist und wildfremde Kinder gleichzeitig panisch weinend nach den Armen ihrer Eltern greifend und von den Erziehern abgeführt werden, gegen ihren Willen? Wie soll man diesem Menschen, der gerade etwas wundervolles und schönes erwartet, die kollektive Panik der gleichaltrigen erklären, die offensichtlich gerade vor seinen Augen von deren Eltern rüde getrennt werden.
Uns ist dazu nichts passendes eingefallen und so haben wir ihn selbst zum Klassenzimmer gebracht - den dem ähnelt dieser Raum weit mehr als einem Kindergarten. Dort angekommen klammerte er sich derart ernsthaft panisch an uns beim Versuch der Erzieherin, ihn ins Klassenzimmer zu ziehen.
Wir brachen kurz ab um ihn zu beruhigen, kamen zurück an die Tür. 1 Minute vor „Unterrichtsbeginn“, doch sie wies uns bereits ab. Sie sagte dann noch, morgen wäre es das selbe. Diese Erfahrung verbunden mit ihrer Aussage am Tag zuvor, dass sie stolz darauf ist, derart „taub“ auf dem Ohr „Heimweh“ zu sein, liesen bei uns sämtliche Alarmglocken schrillen. Wie kann es sein, dass so zarte, kleine Wesen, die gerade dabei sind, sich selbst zu entdecken, so ruppig behandelt werden? Unangenehme Gefühle kamen in uns beiden hoch, ausgelöst durch Erinnerungen an unsere eigene Zeit in staatlichen Einrichtungen. Wobei es meinen Mann weitaus härter erwischt hat als mich. Ich war im Ganztages Kindergarten, später Hort und sobald es ging ein „Schlüsselkind“, das die meisten Ferien bei der Oma auf dem Bauernhof oder im Ferienlager verbrachte. Meinen Mann hat es da viel härter getroffen. Auch eine andere Geschichte.
Zurück zum eigentlichen Thema: Warum Kindergarten frei?
Ich lasse mich von den andern Müttern auf dem laufenden halten bezüglich des Fortschritts der Eingewöhnung ihrer Sprösslinge. Das klappt unterschiedlich gut. Wie zu erwarten, besser, je früher die Kinder von den Eltern entwöhnt wurden. Die Jungs aus seinem Freundeskreis, die Mamas Fürsorge bis zuletzt genießen durften, trifft’s da härter und sie weinen entsprechend häufiger.
Wir waren diese Woche sogar soweit ihn zumindest langsam einzugewöhnen. Erst ein, dann zwei, dann drei Tage die Woche, aber das lässt die Einrichtung nicht zu. Fünf Tage Woche oder gar nicht. Aber das ist uns zu viel getrennt sein. Das wollen wir nicht. Das ist zu viel Zeit die dafür verloren geht etwas gemeinsam zu machen und sei es nur zusammen im Garten zu spielen oder im Haus zu entspannen. Fünf Tage die Woche Kindergarten in dieser Einrichtung kommt einem Vollzeit Job gleich. Es gibt keine Matratzen und keine Sofas oder sonstige Kuschel Ecken.
Hinzu kommt nun seine Angst vor dem Getrennt-sein, die sich unweigerlich im den letzten Wochen in ihm aufgebaut hat. Es bedarf keiner großen Worte im gestrigen Familienrat:
Wir bleiben bis auf weiteres Kindergarten frei.
Den endgültigen Schubs zu dieser Entscheidung gab uns die Lektüre der Erfahrungsberichte diverser Erzieher: Kindergartenfrei.org
KINDERGARTEN FREI IN DEN HERBST? FINCA LEBEN!
Unsere gemeinsame Zeit ist wertvoll und jeder Tag ist kostbar. Jeden Tag Strand und Spielplatz ist langweilig und den ganzen Tag zuhause vor der Glotze sitzen keine Option. Da Papa zuhause arbeitet, fällt unser Haus als „Ersatzkindergarten“ weitestgehend flach. Der Kleine strotzt zudem vor Energie und verlangt nach Abwechslung. Außerdem ist Oktober bis April die beste Zeit in Südeuropa für ausgedehnte Ausflüge in die Natur. Alles ist grün, die Bäume sind übervoll mit Südfrüchten. Überall Orangen und Zitronen, Granatäpfel und Papayas. Leben und Vielfalt so weit das Auge reicht.
Wir engagieren uns nun zusammen mit Papa in einem Verein für ausgesetzte bzw. misshandelte Haus- und Nutztiere. Wir kennen und unterstützen den Verein schon seit Jahren und genauso lange fast steht fest, dass wir ab diesem Herbst aktiv mit anpacken. Der Verein existiert seit sieben Jahren und zieht aktuell auf eine neue Finca um. Auf unsere neue Vereinsfinca ziehen neben Hunden und Katzen auch Hängebauch Schweine, Ziegen, Enten, Gänse, Hühner und Fische mit um. Wir haben einen Brotbackofen und natürlich einen Grillplatz. Die kleine Finca liegt versteckt in der Nähe des Mittelmeer und ist umgeben von Zitronenbaum und Pinien Hainen. Alles ist grün und duftet herrlich nach Pinien, Zitronen und frischer Meeresbrise.
Das Gebäude ist liebevoll dekoriert mit kleinen Malereien und verfügt neben den Stallungen sogar über eine Küche, ein Bad, mehrere Voratsräume und sogar einen Aufenthaltsraum mit Schwedenofen.
Wir sind glücklich hier. Unser Sohn ist glücklich hier und mehrere befreundete Familien sind uns gefolgt, machen mit und sind ebenfalls richtig glücklich hier. Wir Frauen wollen ein kleines Gemüsebeet anlegen und die Männer den Grillplatz auf Vordermann bringen. Die Kinder bekommen noch eine kleine Burg mit Rutsche und ein Trampolin. Dann werden wir uns dort den ein oder anderen Tag zum grillen treffen im kleinen Kreis und die Kinder können versinken in ihrem Abenteuerland... Die Kinder kennen sich bereits seit Jahren und sind Freunde und auch wir Eltern sind Freunde geworden und passen gut zusammen.
Im Alltag helfen wir Mütter zusammen mit den Kindern auch bei der Versorgung der Tiere und der Stallungen. Wir dürfen unsere „eigenen“ Hühner dort halten und die Eier mit nach Hause nehmen. Später haben wir außerdem das frische Obst und Gemüse aus unserem Fincagarten.
DER WINTER IM ZAUBERGARTEN
Wir haben nun seit Wochen Tag täglich Zeit auf der Finca verbracht und dem Gnadenhof dabei geholfen sich einzurichten in seinem neuen Zuhause. Viel ist passiert, viel ist zu tun. Und einiges an Zuwachs in der letzten Zeit dazu gekommen. Insbesondere viele kleine Katzen und Welpen. Es ist immer etwas los auf der Finca und ein fröhliches Kommen und Gehen... Und so langsam kehrt Dank sehr vieler helfender Hände der Alltag ein und die Feste können beginnen...
Die Finca ist ein Gelände von circa 10.000 Quadratmetern und beherbergt neben der "Charity", wie der Gnadenhof kurz genannt wird, auch eine verborgen und tiefer gelegene Fläche von ca. 20 Ar Land in der Sichelform des Neumondes. Das Grundstück schmiegt sich um einen relativ hohen Hang, der die oberhalb gelegene Finca von ihm abschirmt. Und zwar von Nord bis Süd-west. Was bedeutet, dass dort unten völlig unterschiedliche Klimazonen herrschen. Die Böschung an der Nordseite beherbergt eine sattgrüne Vegetation, die - je südlicher das steile Gelände gerichtet ist - immer dürrer wird, bis zur kahlen Wüstenregion direkt am Südhang und wieder grüner werden an der Süd-west Seite, die sich im Schatten der abschliessenden Bäume befindet. Am nördlichen Eingang zum Zaubergarten wacht links ein riesiger Feigenbaum, der aus der angrenzenden Schlucht hervorwächst und die den schmalen Pfad zum sattgrünen Nordhang abgrenzt.
Der Weg führt durch die kühle, schattige Nord-Ost Seite an der Schlucht vorbei, die sanft in einer Ansammlung von Pinien und Büschen endet. Hier zweigt sich der Pfad - links geht es durch das Dickicht hinaus zu einem kurzen Kiesweg, der zum Kanal und privaten Arbeitsstrasse führt. Dem öffentlichen Durchgangsverkehr ist das Befahren dieser Strasse untersagt. Lediglich Fussgängern und unmotorisierten Sportlern ist es ausser den Landwirten sonst noch erlaubt diese Strasse zu nutzen. Der Zaubergarten ist weder vom Kiesweg, noch von der Kanalstrasse aus zu sehen. Er liegt so versteckt, dass er selbst für Finca Besucher nicht zu erahnen ist. Lediglich am südlichen Zaun der Gehege, wenn man sich direkt an den Zaun stellt und den Hang hinunter blickt, entdeckt man ihn. So versteckt liegt er.
Gerade aus weitet sich das Grundstück und man wird nach ein paar Schritten unwirtlich begrüsst von einem weiteren Wächter: Einem kleinwüchsigen, dickbäuchigen Palmengewächs, mit langen schmalen Blättern, die in gefährlichen Spitzen enden. Diese Spitzen hängen bis in den schmalen Pfad, der sich verzweifelt seinen Weg entlang dem Hang an drei gigantischen, kreisrunden Feigenkakteen Familien zwängt. Ein Mandelbaum schützt den Weg an seiner schmalsten Stelle entlang dem Hang.
Sofern man es bis hier ohne Stacheln in den Hosen geschafft hat, kann man sich glücklich schätzen und sich ab hier frei unter Dutzenden von Mandelbäumen bewegen. Jedoch ist die gesamte Aussenseite des Grundstücks gezäumt mit zum Teil mehrere Meter hohen Kakteen. Dornen hart und spitz wie Pfeile. Ein natürlicher Schutz nach unten zu den Ramblas, die dem Auffang des Regenwassers aus dem hügeligen Hinterland dienen und durch einen Tunnel Wasser zu den Feldern auf der anderen Kanalseite leiten. Wild, wunderschön, unbezahlbar wertvoll, aber zum Teil zu gefährlich für die Kinder.
Und die Kinder sind nunmal die Hauptakteure in unserem Zauberwald, insbesondere mein Sohn, der mich jeden Tag mit strahlenden Augen dazu auffordert "auf die Finca zu gehen". Der Zaubergarten ist auch sein Reich. Er dient in erster Linie dazu, dass er sich dort austoben und entfalten kann. Dass er Zweige brechen, sägen, hämmern, bauen, buddeln kann. Und buddeln kann er, so sandig und weich wie der Boden dort ist... Daher müssen wohl oder übel ein paar Schutzmassnahmen getroffen werden, für uns alle, insbesondere den Jungen. Es ist ja nicht so, als hätten wir uns noch keine Stacheln eingefangen... Und wie tief! Bis zu 1 cm ins Fleisch, so dass er nur in der Arztpraxis herauszubekommen war und das auch nur durch kräftiges Ziehen mit einer grossen Zange... Ich weiss, wie sich das anfühlt, und dabei hatte ich noch Glück und er ist nicht abgebrochen in meinem Fleisch... Daher muss vernünftige Arbeitskleidung her. Und zwar für Papa, Mama und Sohnemann.
Gastbeitrag von Beatrix von Burgund