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Spanien verschenkt seine alten Dörfer

Spanien verschenkt seine alten Dörfer

von Karl Gaulhofer

3500 Geisterdörfer gibt es in Spanien, viele andere stehen knapp davor. Bevor sie endgültig aussterben oder verfallen, versuchen die Besitzer sie nun zu Spottpreisen an den Mann zu bringen. Für manchen Ausländer wird so ein Traum wahr.

Einmal kam eine Friseurin nach Olmeda de la Cuesta, auf der Suche nach einem neuen Wirkungsfeld. Ihr gefiel das schlichte Dorf in der Mancha, dem staubtrockenen Hochland im Herzen Spaniens. Aber rasch sah sie ein, dass sie hier keinen guten Schnitt machen würde: In dem gottverlassenen Nest sind nur noch 39 Menschen gemeldet. Das ganze Jahr über leben überhaupt nur 15 hier. Das Durchschnittsalter liegt bei 75, was nationaler Rekord ist. „Und der Bürgermeister ist fast kahlköpfig“, scherzt derselbe.

Doch José Luis Regacho lässt es nicht mit Galgenhumor bewenden. Das Dorfoberhaupt, mit 48 vergleichsweise noch ein Jungspund, kämpft gegen das scheinbar unabwendbare Schicksal, so wie einst Don Quijote gegen die Windmühlen. Mit einer kühnen Idee: Bevor wir endgültig aussterben, verschenken wir lieber unser Dorf. Die Gemeinde versteigert ihre unverbauten Parzellen im Siedlungsgebiet, zu einem symbolischen Preis.

Schon bei ein paar hundert Euro fällt der Hammer. Einzige Auflage: In zweieinhalb Jahren muss da ein Haus stehen. Und siehe da: Es funktioniert. Bei zwei Auktionen fanden sich Käufer für zwei Dutzend Grundstücke. Für nächsten Sommer ist eine dritte Runde geplant. Viel half, dass nationale Medien von der kuriosen Initiative Wind bekamen. Im Fernsehen versprachen alte Mütterchen:

„Wir freuen uns über jeden, der bei uns leben will!“

So verbreitete sich die Kunde auch im Ausland.

Neues Leben. Nun zieht neues, buntes Leben im Dorf ein: eine englische Bildhauerin, die viel Platz für ihr Atelier braucht. Eine Frau aus Venezuela, die zuletzt in Dänemark lebte und ihre ganze Familie herbringen will. Ein Iraki, der als Koch in Madrid arbeitet und sich hier am Wochenende entspannen möchte. Aber auch ein junges Ehepaar aus der Stadt, mit zwei Kindern, die dieses Dorf lieben, in dem sie auf der Straße spielen können. Wo eben noch Grabesruhe herrschte, lärmen nun die Mischmaschinen, und den Greisen auf den Bänken klingt es wie Musik in den Ohren. Auch in der Bar an der Plaza herrscht wieder munteres Treiben.

Olmeda hat es also gerade noch geschafft. Rund 3000 Dörfer und Weiler in Spanien aber sind bereits gänzlich verlassen. Immer neue Wellen von Auswanderung und Landflucht haben das karge Kastilien ebenso entvölkert wie einsame Gegenden im grünen Norden. Die Landwirtschaft konnte die Menschen nicht mehr ernähren, Jobs und gutes Leben gab es nur in der Stadt. Zuerst sperrten die Schulen zu, dann die Geschäfte. Bis die letzten Greise verstarben und die Natur diese Dörfer langsam zurückeroberte.

Sicher, es gab auch eine zaghafte Gegenbewegung, die vor 20 Jahren begann. So manche Bewohner von Madrid, Barcelona und Valencia besannen sich auf ihre Wurzeln. In besonders malerischen und schön gelegenen Dörfern kauften sie sich Häuschen und restaurierten sie liebevoll, um in ihnen ruhige Wochenenden zu verbringen, fern von der Hektik der Großstadt. So entstanden seltsame soziale Gebilde mit zwei Gesichtern: Die Arbeitswoche über sind sie herausgeputzte Geisterstädte, nur Samstag und Sonntag füllen sie sich mit künstlichem Leben.

Als nachhaltiger erwiesen sich Projekte des „Turismo Rural“: Wer etwa in einer Finca oder einem Castillo ein kleines Hotel einrichtet, bringt auch neue Arbeitsplätze in vereinsamte Gegenden. Aber solche Initiativen erlahmten mit der Krise, weil der Staat die Subventionen strich. Zugleich erhöhte aber die jahrelange Rezession den Druck auf die Besitzer, ihr bröckelndes Erbe zu Geld zu machen, zur Not auch zu Spottpreisen. Alles muss raus, am besten gleich das ganze Dorf in einem Stück.

Agentur für Trümmerhaufen. Aber das ist leichter gewollt als getan. Rund 1500 kleine Dörfer stehen zum Verkauf an, aber nur rund 120 haben die Papiere so parat, dass sich ein Deal abschließen lässt. Zuerst müssen ja alle Besitzer der fast wertlosen Immobilien ihren Sanktus zum Verkauf geben, und in der Regel sind sie über die halbe Welt verstreut. Beraten lassen sich die Verkäufer von spezialisierten Agenturen, allen voran dem Marktführer aldeasabandonadas.com, der sein Angebot „Verlassene Dörfer“ schon im Firmennamen trägt.

Der Einstiegspreis liegt dort bei 40.000 Euro, für kleine, verfallene Weiler mit einer Handvoll Häusern. Wasser ist fast immer vorhanden, durch Brunnen und Quellen. Stromanschluss meist auch. Für eine geteerte Zufahrtsstraße sorgt in der Regel die öffentliche Hand. Die noch nicht völlig verwahrloste Mittelklasse bewegt sich preislich zwischen 300.000 und 400.000 Euro. Aber es gibt auch ein Luxussegment. Zum Beispiel: ein Weiler in der Nähe des katalanischen Städtchens Igualada, mit neun brauchbaren Häusern, einer romanischen Kirche und sechs Brunnen. Rundherum 500 Hektar für Landwirtschaft und Jagd samt 14 verfallenen Gehöften. Zu haben für 3,5 Mio. Euro.

Solche Angebote kennen keine Krise. Als die spanische Immobilienblase platzte und die Preise an den zubetonierten Küsten des Mittelmeers um über 40 Prozent einbrachen, entdeckten Ausländer den herben Charme des Hinterlands und seiner ruinösen Dörfer. Als Segen für die Makler erwies sich Neil Christie. Der pfiffige Brite verliebte sich im Urlaub in die grünen Hügel an der Grenze zwischen Galizien und Asturien – und kaufte sich den Weiler Aruñada. Vier Häuser und drei Hektar, für 45.000 Euro.

„Dafür kriege ich zu Hause gerade einmal eine Garage“,

erzählte der Frühpensionist verschmitzt lächelnd der BBC. Das britische Fernsehen war erst der Anfang. Es folgten Kamerateams aus Frankreich, Russland und Norwegen. Die spanischen Makler rieben sich die Hände: Eine bessere Gratiswerbung hätten sie sich nicht erträumen können.

Die Geschichte war auch abenteuerlich genug, um Interesse zu wecken. Denn Christies Dörfchen war nicht viel mehr als ein Trümmerhaufen. Im Haupthaus, erzählt er, fehlte das Dach, ein Baum reckte sich vom Wohnzimmer aus in den Himmel. Der Fernsehtechniker krempelte die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit – allein. Während seine peruanische Frau im nächsten Ort die Schulkinder unterrichtet und seine beiden Söhne zu Hause in England studieren, werkelt er seit neun Jahren an seinem spanischen Schnäppchen herum. Erst vor Kurzem konnte das Paar zumindest in ihr neues Heim einziehen. Das kostete Christie viel Blut, Schweiß und Zement – und schließlich doch 220.000Euro, deutlich mehr als anfangs geplant. Jetzt kommen die drei weiteren Häuser dran, sie will er später vermieten.

Romantik und Kalkül. So stoßen romantische Träume auf die harte Realität – was viele Interessenten dann doch vom Kauf abhält. Die galizische Gemeinde Cortegada bemüht sich, einem „charmanten“, aber schon überwucherten Weiler am Miño-Fluss neues Leben einzuhauchen. Die Idee ist ja nicht schlecht: Die Kommune überlässt dem Investor den Grund kostenlos auf unbestimmte Zeit, mit dem Auftrag, aus A Barca einen touristischen Hotspot zu machen. Anfragen gibt es zwar genug, sogar eine Hippie-Kommune zeigte Interesse. Aber wer investiert schon rund eine Million Euro in einen Wiederbelebungsversuch, ohne den Ort wirklich zu besitzen?

Das Gras zu laut wachsen hört auch jene Erbengemeinschaft, die ein verfallenes Bergdörfchen in Kantabrien loswerden will – um 1,5 Millionen Euro, wenn der Käufer es restauriert und in ein Hotel oder in 30 bis 45 Ferienappartements verwandelt. Die Immobilienfirma Mikeli würde die Vermarktung übernehmen. Zugegeben: Dieses Porcieda ist auch als Ruine ein Traum. Es sieht dort aus wie in der Schweiz: saftige Wiesen, kunstvolle Holzbalkone, eine Wallfahrtskirche mit Blick auf das Hochgebirge, die Picos de Europa. Das Potenzial ist also groß. Doch das Risiko ist hier wohl größer. Aus dem Traum kann zu leicht ein Albtraum werden.

Dem Markt für Dörfer aber geht es weiter gut. Mit der wirtschaftlichen Erholung kommt auch das Interesse der Spanier selbst zurück: Waren vor drei Jahren nur 20 Prozent der Käufer Inländer, sind es nun die Hälfte. All das mag wie ein Ausverkauf wirken. Doch in Wahrheit ist es eine unverhoffte, letzte Chance – für Spaniens rurales Erbe mit seinem zersausten Zauber.

 

Spanien verschenkt seine alten Dörfer

Last modified onSaturday, 16 July 2016 08:11