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Amor und Psyche - Kapitel 6

So wies das liebe Schilf der armen Psyche den Weg zur Rettung; und diese sollte es nicht zu bereuen haben, dass sie dem guten Rat in allem folgte; denn nicht lange dauerte es, da hatte sie sich einen ganzen Schoss voll Goldflocken stibitzt. So wies das liebe Schilf der armen Psyche den Weg zur Rettung; und diese sollte es nicht zu bereuen haben, dass sie dem guten Rat in allem folgte; denn nicht lange dauerte es, da hatte sie sich einen ganzen Schoss voll Goldflocken stibitzt.

Apuleius: Amor und Psyche

Märchen

Sechstes Kapitel
Psyches Prüfungen

Venus aber war es müde geworden, die Nachforschung mit irdischen Mitteln zu betreiben. So liess sie sich, um gen Himmel zu fahren, den güldenen Wagen schirren, ein Hochzeitsgeschenk Vulkans, von feinster Arbeit und kostbarster Politur. Aus der grossen Schar von Tauben, die um das Schlafgemach der Herrin nisteten, kamen vier weisse herstolziert und spannten sich, die gesprenkelten Hälse hin- und herdrehend, willig an den edelsteinbesetzten Wagen. Als die Herrin eingestiegen, flogen sie froh in die Lüfte. Mutwillige Spatzen gaben laut zwitschernd dem Wagen Geleit, Singvögel verkündeten das Nahen der Göttin mit Jubelgesang, ohne Furcht vor gierigen Falken und Adlern der Luft. Es wichen die Wolken, der Himmel erschloss seiner Tochter die Pforten, frohlockend empfing sie der Aether. Sofort eilte sie zum Palast Jupiters und heischte von ihm den Dienst Merkurs, des redegewandten Gottes, dessen sie für ihre Zwecke dringend bedürfe. Mit dunkler Braue nickte der König Gewährung. Gleich schwebte sie in Begleitung Merkurs frohlockend vom Himmel hernieder. »Mein lieber Bruder aus Arkadien,« sprach sie auf ihn ein, »deine Schwester Venus hat, wie du weisst, ohne deinen Beistand nie etwas vollbracht. Nun ist dir zweifellos bekannt, dass ich schon lange vergeblich nach meiner Magd suche, die sich versteckt hält. Es bleibt mir also nichts übrig, als einen Preis für ihre Auffindung auszusetzen und den sollst du durch öffentlichen Heroldsruf bekannt machen. Thu' also schnell, wie dir befohlen; vergiss auch ja nicht, die Merkmale, an denen sie zu erkennen ist, genau zu bezeichnen, damit keiner, der sie unerlaubterweise versteckt hält, Unkenntnis vorschützen kann.« Mit diesen Worten überreichte sie ihm einen Steckbrief auf den Namen der Psyche etc. und kehrte nach Hause zurück. Merkur eilte gehorsam durch die Völker der Erde und rief überall laut aus: »Bekanntmachung. Wenn einer einfangen oder im Versteck aufzeigen kann die Prinzessin, die entlaufene Magd der Venus, Psyche mit Namen, soll er es bei der Venuskapelle am Circus dem Herold Merkur vermelden. Belohnung: sieben Küsse von dem Honigmund der Venus und einen extra süssen als Zugabe.« Auf diese Bekanntmachung hin brannten alle, sich solchen Preis zu verdienen. Das liess Psyche, die ja ohnehin entschlossen war, sich zu melden, nicht länger zaudern. An der Thür ihrer Herrin traf sie eine Dienerin aus dem Gesinde der Venus, ›Liebesgemeinschaft‹ mit Namen. Die schrie gleich aus Leibeskräften: »Endlich, du Taugenichts von Magd, fängst du an zu begreifen, dass du eine Herrin hast? Oder willst du dich, unverschämt wie du bist, etwa stellen, als wüsstest du nicht, wie wir uns auf der Suche nach dir haben plagen müssen? Nur schön, dass du grade mir unter die Finger gekommen bist, denn das ist so gut, als hätten sich die Pforten der Hölle hinter dir geschlossen: lang wirds nicht mehr dauern, dass du gepeinigt wirst für deinen Trotz!« Dabei fuhr sie ihr dreist ins Haar und zog sie, ohne dass Psyche Widerstand zu leisten suchte, hinein. Kaum sah Venus sie vor sich geführt, als sie schadenfroh auflachte; dann brach sie mit zornigen Gebärden in die Worte aus: »Endlich hast du dich herabgelassen, deine Schwiegermutter zu begrüssen? Oder bist du etwa gekommen, um deinem Liebsten, der von dir verwundet ward und daniederliegt, einen Krankenbesuch abzustatten? Doch sei nur ruhig: du sollst es bei mir haben, wie es eine gute Schwiegertochter verdient. Heda, Sorge und Trauer!« Diesen ihren Mägden überwies Venus sie zur Folterung. Die peitschten die Aermste, wie ihnen befohlen, und folterten sie bis zur Erschöpfung. In diesem Zustand führten sie sie der Gebieterin wieder vor. »Sieh da,« sprach diese abermals hohnlachend, »nun sucht sie mich zu rühren, indem sie auf das Kind zeigt, das sie unter dem Herzen trägt und mit dem sie mich zur seligen Grossmutter machen will. Welch ein Glück, dass ich in der Blüte meiner Jahre Grossmutter werden und der Sohn einer niederen Magd mein Enkel heissen soll! Doch wie thöricht, ihn überhaupt deinen Sohn zu nennen: eine ungleiche Ehe, die noch dazu in einem Landhaus ohne Zeugen und ohne Einwilligung des Vaters geschlossen ist, kann nicht als legitim angesehen werden; folglich wird dein Kind als Bastard zur Welt kommen.« Mit diesen Worten fuhr sie auf sie los und ohrfeigte sie. Dann liess sie sich Samen von Weizen, Gerste, Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen und Bohnen bringen, mischte alles bunt durcheinander zu einem Haufen und sprach zu ihr: »Eine so hässliche Magd wie du kann, dünkt mich, sich Buhlen nur durch Dienstbeflissenheit verschaffen; so will denn auch ich deine Tüchtigkeit einmal probieren. Lies mir dies bunte Gemenge von Samenkörnern auseinander und ordne sie alle hübsch für sich in gesonderten Häufchen. Noch vor Abend muss die Arbeit gethan und mir fertig abgeliefert sein!« Darauf begab sie sich auf eine Hochzeitsgesellschaft. Psyche stand, sprachlos vor Entsetzen über diesen ungeheuerlichen Auftrag, ohne eine Hand zu rühren vor dem unentwirrbaren Haufen der Samenkörner. Da wurde eine Feldameise, die sich bei all ihrer Winzigkeit doch auf so schwere Arbeit verstand, von Mitleid mit der Geliebten des grossen Gottes erfasst; unter Verwünschungen auf die böse Schwiegermutter trippelte sie rührig hierhin und dorthin, um das gesamte Heer der anwohnenden Ameisen auf die Beine zu bringen. »Erbarmt euch, flinke Kinder der Allmutter Erde, eilt hurtig zu Hilfe der Geliebten des Amor, dem reizenden Mädchen!« Da stürzte sich, Woge auf Woge, in Scharen heran das sechsfüssige Völkchen; eifrigst nahm jede ein Korn, so sichteten sie den ganzen Haufen nach Art und Art. Dann machten sie hurtig sich auf und davon. Spät abends kehrte Venus heiter gelaunt von dem Hochzeitsschmause heim, ganz mit schimmernden, balsamisch duftenden Rosenguirlanden umkränzt. Als sie die Arbeit mit wunderbarer Sorgfalt verrichtet sah, rief sie: »Nicht dein noch deiner Hände Werk ist das, Nichtswürdige, sondern dessen, der sich zu deinem und seinem eignen Unglück in dich verliebt hat!« Dabei warf sie ihr ein Stück Schwarzbrot hin und begab sich zur Ruhe. Unterdessen sass Amor ganz allein in einem entfernten Boudoir des Palastes hinter Schloss und Riegel, damit er nicht durch kecke Streiche seine Wunde verschlimmerte oder sich mit seinem Schatz ein Rendezvous gäbe. So verbrachte das Liebespaar unter einem und demselben Dach, und doch so weit getrennt, eine schreckliche Nacht. Beim ersten Schimmer der Morgenröte rief Venus Psyche und sprach zu ihr: »Siehst du dort den Hain, der sich längs dem Ufer des Flusses hinzieht? Schafe mit goldschimmerndem Vliess weiden dort frei umher. Hole mir sofort eine Flocke von der kostbaren Wolle. Wie du sie dir verschaffst, ist deine Sache.« Psyche erhob sich willig – freilich nicht in der Absicht, dem Befehl nachzukommen, sondern um sich von dem Felsen in den Fluss zu stürzen und so von ihren Leiden auszuruhen. Doch horch, da klingt's vom Flusse wie sanfte Hirtenschalmei: es flüstert, vom säuselnden Odem der Winde leise bewegt, prophetisch das Schilf des Stromes: »Psyche, du Schmerzensreiche, entweihe meine heiligen Wasser nicht durch deinen Tod, hüte dich aber auch, dich der furchtbaren Herde jetzt zu nahen, wo sie, durch die Sonnenglut erhitzt, von Tollwut befallen zu werden und mit spitzem Horn, harter Stirn, ja giftigen Bissen die Menschen anzufallen pflegt. Warte vielmehr, bis am Nachmittag die Hitze sich legt und die Herde, sanft und zahm, in der lieblichen, vom Fluss aufsteigenden Kühle ruht; so lange kannst du dich unter der hohen Platane dort verstecken, die mit mir aus demselben Fluss trinkt. Dann brauchst du die Goldflocken, die überall am Gebüsch des nahen Hains hängen geblieben sind, nur vom Laub abzuschütteln.« So wies das liebe Schilf der armen Psyche den Weg zur Rettung; und diese sollte es nicht zu bereuen haben, dass sie dem guten Rat in allem folgte; denn nicht lange dauerte es, da hatte sie sich einen ganzen Schoss voll Goldflocken stibitzt. Die brachte sie Venus. Aber auch die glückliche Ausführung der zweiten, gefährlichen Arbeit trug ihr nicht die Anerkennung ihrer Herrin ein. Vielmehr zog Venus die Stirn kraus und sprach höhnisch: »Ich weiss es ganz gut: auch hierbei hat wieder ein anderer seine Hände im Spiel gehabt. Nun will ich aber einmal eine besondere Probe anstellen, ob du denn wirklich gar so tapfer und klug bist. Siehst du da die ragende Spitze des jäh abstürzenden Felsens? Aus schwarzer Quelle brausen finster die Wogen zu Thal; dort bewässern sie, in einer Mulde eingeschlossen, den finstern Sumpf und nähren der Hölle brandenden Strom. Nimm hier dies Fläschchen: in ihm schöpfe mir eiskaltes Nass aus der Tiefe des Sprudels und bring' es mir schleunigst herunter.« Darauf reichte sie ihr unter Drohungen ein krystallenes Gefäss. So eilte denn Psyche auf die Höhe des Berges, in der Hoffnung, dort endlich ihr trauriges Dasein zu beschliessen. Schon war sie dem Gipfel nahe, als sie sich etwas Ungeheuerlichem gegenüber sah, das ihr Blut erstarren liess. Ein riesiges Felsgrat, dessen Geröll jede Erklimmung unmöglich machte, spie aus tiefem Krater schaurige Sprudel aus; die brausten den Abhang hinunter, traten dann in einen unterirdischen Felsspalt und stürzten unsichtbar in den nahen Thalkessel. Von allen Seiten krochen aus den Klüften des Gesteins grausige Drachen hervor mit langgereckten Hälsen und funkelnden, lauernden Augen, deren Lider sich nie schlossen. Nun fing auch das Wasser selbst an, ihr den Zutritt zu wehren. »Hinweg!« tönte es von Zeit zu Zeit aus seiner Tiefe; »Was thust du? pass' auf!« »Was treibst du? gieb acht!« »Flieh!« »Es ist dein Tod!« Psyche stand vor Schreck und Verzweiflung wie versteinert. Aber die gütige Fee Vorsehung hielt ihre ernsten Augen über der armen, unschuldigen Seele. Denn plötzlich kam Jupiters königlicher Vogel auf breiten Fittigen herangeschwebt. Der war nämlich schon vor Zeiten dem Amor zu Diensten gewesen, als er unter dessen Führung den trojanischen Prinzen Ganymedes dem Jupiter als Mundschenken gen Himmel getragen hatte. In Erinnerung dessen wollte er Amor auch jetzt in Ehrfurcht behilflich sein bei der schweren Not seiner Geliebten. So liess er sich denn aus den Wolkenregionen hernieder und schwebte dem Mädchen zu Häupten. »Du armes Menschenkind,« sprach er, »das du zu hoffen wagst, von der verfemten Quelle auch nur einen Tropfen zu rauben oder auch nur sie zu berühren! Hast du denn nicht gehört, dass Jupiter selbst vor diesen Wassern der Hölle bebt und dass der Schwur, den ihr Menschen bei der Macht der Götter leistet, von diesen bei der Majestät des Höllenstroms geschworen wird? Gieb mir die Flasche!« Sofort packte er sie und eilte, sie zu füllen. Er hielt sich mit seinen Ruderschwingen in ruhiger Schwebe und fing so mitten unter den zähnefletschenden, züngelnden Drachen das Wasser auf; zwar sträubte es sich und rief auch ihm drohend zu, er solle sich in acht nehmen, aber unter dem Vorwande, dass er es im Dienst und auf Befehl der Venus hole, wusste er sich die Erlaubnis zu verschaffen. Psyche nahm die gefüllte Flasche dankbar entgegen und brachte sie eilends der Venus. Aber auch hierdurch vermochte sie nicht die zürnende Göttin gnädig zu stimmen. Vielmehr rief diese mit bösem, noch viel grösseres Unheil verheissendem Lächeln sie zu sich und sprach: »Du bist, wie es scheint, eine böse Hexe, dass du solche Befehle so brav ausführen konntest. Aber noch einen Dienst, mein Püppchen, wirst du mir leisten müssen. Nimm hier diese Büchse und gehe mit ihr gradeswegs zu Tod und Teufel. Dann überreiche sie der Proserpina mit den Worten: ›Venus lässt dich bitten, ihr ein Bischen von deiner Schönheitssalbe zu schicken, sei's auch nur so viel, als für einen Tag reicht. Denn ihre eigne Schönheit hat sie bei der Pflege ihres kranken Sohnes ganz und gar eingebüsst.‹ Aber kehre gefälligst unverzüglich zurück, denn ich muss mich damit schminken, weil ich das Theater im Olymp besuchen will.« Nun merkte Psyche, dass es mit ihr zu Ende sei, da sie mit sehenden Augen in den Tod, zur Hölle und ihren Gespenstern wandern sollte. So bestieg sie denn unverzüglich einen riesenhohen Turm, um sich von ihm hinabzustürzen und so auf dem direktesten Weg ins Jenseits zu gelangen. Da fing der Turm plötzlich zu sprechen an: »Wozu willst du dir, arme Kleine, das Leben nehmen, warum bei dieser deiner letzten Arbeit ohne weiteres verzagen? Denn wenn dein Odem aus dem Körper floh, wirst du freilich hinunterfahren, aber auf Nimmerwiederkehr. Höre mich an.

Nicht fern von hier liegt Sparta, die berühmte Griechenstadt, und in deren Bezirk, tief versteckt, Taenarum, wo Dämpfe aus dem Höllenrachen emporsteigen. Durch gähnende Thore führt dorthin ein unwegsamer Pfad; hast du den aber erst hinter dir, so wirst du auf gradem Wege zum Palast des Fürsten der Finsternis gelangen. Doch darfst du den Weg durch das Dunkel nicht so mit leeren Händen antreten: nimm in jede Hand einen Honigkuchen und in den Mund zwei Heller. Wenn du dann ein gutes Stück des Todesweges gegangen bist, so wirst du einem lahmen, holzbepackten Esel mit einem gleichfalls lahmen Treiber begegnen. Der wird dich bitten, ihm einige aus dem Bündel gefallene Holzscheite aufzuheben: höre nicht auf ihn, sondern gehe schweigend deines Wegs. Darauf wirst du bald zum Totenfluss kommen. Charon ist sein Ferge, auf einem Binsenkahn setzt er die Wanderer über, doch erst nach Empfang des Fährgeldes: denn auch das Sterben ist nicht umsonst, und Habsucht regiert bei den Toten wie bei den Lebenden. Diesem schmutzigen Alten nun gieb als Fährlohn den einen der beiden Heller, lass ihn dir aber von ihm eigenhändig aus dem Munde nehmen. Bei der Ueberfahrt über den trägen Strom wird ein toter Greis herangeschwommen kommen, seine welken Hände emporheben und dich anflehen, ihn in den Kahn zu ziehen. Lass dich nicht erweichen, denn Mitleid ist verboten. Ein Stückchen weiter am jenseitigen Ufer werden alte Weiber, die mit Weben beschäftigt sind, dich bitten, ihnen ein wenig dabei zu helfen. Doch auch dies darfst du nicht gewähren: denn diese und viele anderen Fallstricke legt dir Venus, damit du einen der beiden Honigkuchen aus der Hand fallen lassest. Das aber wäre, trotz der Wertlosigkeit des Gegenstandes, ein unersetzlicher Verlust, der dir die Rückkehr zum Licht unmöglich machen würde. Denn auf der Schwelle der Totenhalle liegt, ewig wach zur Hut des öden Palastes des Höllenfürsten, ein riesiger Hund mit drei furchtbaren Köpfen: wie Donner tönt sein Geheul, vor dem selbst die Toten, denen er doch nichts mehr anhaben kann, erbeben. Stopfe ihm das Maul mit einem Kuchen, dann wirst du leicht an ihm vorbeikommen und bei Proserpina eintreten. Sie wird dich gütig und liebevoll empfangen und dich auffordern, dich auf einen bequemen Stuhl zu setzen und ein leckeres Mahl zu dir zu nehmen. Statt dessen setze dich auf den Boden und bitte um Schwarzbrot zum Essen. Darauf melde ihr den Zweck deines Kommens. Hast du das Verlangte aus ihren Händen erhalten, so mache dich auf den Rückweg, wirf dem wütigen Hund den zweiten Kuchen vor und gieb dem habsüchtigen Fergen den aufgesparten zweiten Heller, für den er dich wieder übersetzen wird. So wirst du auf demselben Wege wieder emporsteigen zur Welt des Lichts. Vor allen Dingen warne ich dich aber davor, die mitgebrachte Büchse neugierig zu öffnen und hineinzusehen: denn der kostbare Inhalt gehört nicht dir.« So sprach prophetisch der Turm. Psyche eilte unverzüglich nach Taenarum und stieg mit Hellern und Kuchen den Weg zur Hölle hinab, ging schweigend an dem lahmen Eseltreiber vorüber, gab das Fährgeld dem Fergen, kümmerte sich nicht um das Flehen des heranschwimmenden Toten und die listigen Bitten der Weberinnen, schläferte den wütenden Hund durch den Kuchen ein und kam so zum Palast der Proserpina, die sie gastlich aufnahm. Aber sie dankte für den weichen Pfühl und die reichen Speisen, setzte sich vielmehr demütig ihr zu Füssen und begnügte sich mit gewöhnlichem Brot. Darauf bestellte sie die Botschaft der Venus. Sofort bekam sie die geheimnisvolle Büchse verschlossen ausgeliefert und kehrte auf demselben Wege, wie befohlen, aus der Hölle ans Tageslicht zurück, das sie in Anbetung begrüsste. Trotz des Wunsches, ihren Dienst zu beendigen, wurde sie von sträflicher Neugierde ergriffen. »Ich wäre doch eine Thörin,« sagte sie zu sich selbst, »wenn ich das himmlische Schönheitsmittel bloss trüge und nicht ein ganz klein wenig davon probierte, um so meinem Geliebten wieder zu gefallen.« Mit diesen Worten öffnete sie die Büchse. Aber nichts Greifbares war darin, sondern tiefer Schlaf, der leibhaftige Sohn des höllischen Dunkels. Kaum war der Deckel abgehoben, als der sich ihrer bemächtigte und dichte Nacht und Betäubung über alle ihre Glieder ausbreitete. Ohnmächtig brach sie auf dem Fleck zusammen und lag in seinem Bann unbeweglich, wie tot, da.

Last modified onTuesday, 01 November 2016 13:39