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Was ist eine Verfassunggebende Versammlung?

„Ein Meisterschuss“, sprach der Landvogt, „aber wozu der zweite Pfeil im Göller?“ Wilhelm Tell erwiderte: „Hätte ich den Kopf meines Kindes getroffen, Euch hätte ich sicher nicht verfehlt!“ „Ein Meisterschuss“, sprach der Landvogt, „aber wozu der zweite Pfeil im Göller?“ Wilhelm Tell erwiderte: „Hätte ich den Kopf meines Kindes getroffen, Euch hätte ich sicher nicht verfehlt!“

Entgegen der landläufigen Meinung, dass es sich bei der Verfassunggebende Versammlung um ein rein rechtsradikales Reichsbürger Hirngespinst handelt, ist die Verfassunggebende Versammlung WELTWEIT fest und unantastbar im Völkerrecht verankert. 

Die Verfassunggebende Versammlung ist ein staatsrechtlicher und politikwissenschaftlicher Begriff. Eine Verfassunggebende Versammlung ist eine außerordentliche politische Institution, manchmal auch Verfassungskonvent genannt, welche temporär eingerichtet worden ist und eingerichtet werden kann, um einem Staat eine erste oder wieder eine neue Verfassung zu geben. Sie ist – als Ausdruck des pouvoir constituant – im Besitz der verfassunggebenden Gewalt des Volkes.

Bedeutende historische Beispiele zeigen, dass sich Verfassunggebende Versammlungen meistens in einem revolutionären Umfeld konstituiert haben, müssen aber nicht. Die erste verfassungsgebende Versammlung auf deutschem Boden fand am 24. März 1525 im oberschwäbischen Memmingen statt. Hierbei wurde die Bundesordnung von den aufständischen Bauern im Bauernkrieg verfasst. Die Christliche Vereinigung schrieb 1525 im oberschwäbischen Memmingen die Zwölf Artikel, die ersten niedergeschriebenen Menschenrechte der Welt und die Bundesordnung.

Verfassungsgebung und Beseitigung einer alten Verfassung

In einer Verfassunggebenden Versammlung konkretisiert sich die verfassunggebende Gewalt des Volkes. Nach dem demokratischen Legitimitätsprinzip der Volkssouveränität ist sie im Besitze des originären pouvoir constituant, weshalb sie einen höheren Rang hat als die auf Grund einer bereits erlassenen Verfassung gewählte Legislative, Organ des pouvoir constitué, der verfassten Staatsgewalt:

„Eine verfassunggebende Versammlung hat einen höheren Rang als die auf Grund der erlassenen Verfassung gewählte Volksvertretung. Sie ist im Besitz des pouvoir constituant. Mit dieser besonderen Stellung ist unverträglich, daß ihr von außen Beschränkungen auferlegt werden. […] Ihre Unabhängigkeit bei der Erfüllung dieses Auftrages besteht nicht nur hinsichtlich der Entscheidung über den Inhalt der künftigen Verfassung, sondern auch hinsichtlich des Verfahrens, in dem die Verfassung erarbeitet wird.“

Ihre Mitglieder können gewählt oder berufen werden oder sich im Rahmen eines Staatsstreiches oder einer Revolution selbst dazu konstituieren. Dies geschah zum Beispiel im Ballhausschwur, einem Schlüsselereignis zu Beginn der Französischen Revolution: die Mitglieder der Nationalversammlung erklärten sich in einem revolutionären Akt zur Verfassunggebenden Versammlung, welche schließlich als Konstituante das absolutistische Frankreich in eine konstitutionelle Monarchie verwandelte:

„Thomas Paine, der große Propagandist der Französischen Revolution, verglich die Amerikanische Revolution mit jenem festen Punkt, nach dem einst Archimedes gesucht hatte, um die Welt aus den Angeln zu heben. Die Amerikanische Revolution hat die Nation als verfassunggebende Gewalt’ verwirklicht und damit das Tor zum Zeitalter der demokratischen oder atlantischen Revolution aufgestoßen.“

– Bruno Schoch: Alle Macht geht vom Volk aus. Doch wer ist das Volk?

So birgt denn der metajuristische Begriff der verfassunggebenden Gewalt eine gewisse Paradoxie in sich, die ihn – nach Martin Heckel – für den Juristen so schwer verständlich macht:

„Die verfassunggebende Gewalt ist aus Normen nicht ableitbar, aber enthält eine Normenentscheidung, die Normen schafft. Sie ist die Frucht eines historischen Augenblicks, die doch Konstanz über den Augenblick hinaus beansprucht. […] Sie verlangt Unverbrüchlichkeit, obwohl sie aus dem Bruch des bisher geltenden Verfassungsrechts entstammt und auch die geltende Verfassungsordnung im Umbruch hinwegfegen kann. Sie äußert sich in der – oft gewalttätig eruptiven – Revolution des Volkes, das aber dann kraft seiner Verfassungsgebenden Gewalt die verfassten Organe des Staates auf die strikte Durchsetzung der Verfassung gegen jeglichen Revolutionsversuch, Staatsstreich und Verfassungsbruch verpflichtet – solange es [das Volk] die Verfassung trägt.“

Eine Verfassunggebende Versammlung ist nur temporär, zeitlich begrenzt, tätig. Ihr Auftrag ist gegenständlich beschränkt. Sie ist nur berufen, die Verfassung des Staates und die Gesetze zu schaffen, die notwendig sind, damit der Staat durch seine Verfassungsorgane wirksam handeln und funktionieren kann. Mit Verkündung einer Verfassung entsteht die neue verfasste Staatsgewalt als (von ihr) abgeleiteter Volkswille, der neue pouvoir constitué. Die Verfassunggebende Versammlung hat damit ihre Arbeit getan und löst sich nach den Wahlen zur neuen Legislative selbst auf. Die durch das Inkrafttreten der Verfassung neu konstituierte Staatsgewalt ist an diese neue Verfassung gebunden.

Grenzen der Souveränität

Nach dem Prinzip der Volkssouveränität wäre eine Verfassunggebende Versammlung von Vorgaben der amtierenden Staatsgewalten unabhängig und auch nicht an Regelungen einer schon bestehenden Verfassung gebunden. Da sie im Besitz des originären pouvoir constituant sei, könne sie sich nur selbst inhaltliche und verfahrensmäßige Schranken auferlegen:

« Un peuple a toujours le droit de revoir, de réformer et de changer sa Constitution. Une génération ne peut assujettir à ses lois les générations futures. »

„Ein Volk hat stets das Recht, seine Verfassung zu überprüfen, zu reformieren und zu ändern. Eine Generation kann nicht die kommenden Generationen ihren Gesetzen unterwerfen.“

Eine andere rechtsphilosophische Ansicht besagt, dass der Volkssouveränität in Ausübung des pouvoir constituant sehr wohl Grenzen gesetzt seien. Die Verfassunggebende Versammlung sei nämlich gebunden an überpositiven Rechtsgrundsätze, zu denen allgemeine rechtsstaatliche Prinzipien und insbesondere die universalen Menschenrechte gehörten. Diese allgemeinen Rechtsgrundsätze gingen als Naturrecht beziehungsweise Vernunftrecht dem Volkswillen und dem positiven, gesetzten Recht immer schon voraus. In dem bereits oben zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1951 heißt es dazu:

„Eine Verfassunggebende Versammlung ist nur gebunden an die jedem geschriebenen Recht vorausliegenden überpositiven Rechtsgrundsätze […]. Im übrigen ist sie ihrem Wesen nach unabhängig. Sie kann sich nur selbst Schranken auferlegen.“

Der österreichische Staatsrechtler Peter Pernthaler betont in diesem naturrechtlichen Zusammenhang die Bedeutung der Präambeln neuzeitlicher Verfassungen. In religiösen oder säkularisierten Formeln, wie z. B. invocatio Dei („Anrufung Gottes“), werde darin ein „Transzendenzbezug der verfassunggebenden Gewalt des Volkes“ rechtlich festgeschrieben, welcher die Funktion habe, diese Begrenzungen der Volkssouveränität klarzustellen:

„Nicht in diesen Formeln, sondern in der damit vorausgesetzten Begrenzung der Volkssouveränität durch Menschenrechte, Verantwortlichkeit der Staatsgewalt und andere überpositive Rechtsgrundsätze, die auch die demokratische Verfassungsgebung beschränken, liegt die Bedeutung des Transzendenzbezugs der modernen Staatsverfassung: Nach den Erfahrungen plebiszitär verbrämter totalitärer Staatsgewalt in Diktaturen und autoritären Regimen ist die Grundvorstellung des Verfassungsstaates, dass auch die verfassungsgebende Gewalt des Volkes keine schrankenlose Gewalt des Staats über Menschen begründet, ein besonders wichtiges Element der Freiheitlichkeit dieser Ordnung.“

Die gegenteilige rechtspositivistische Position hat einmal Hans Kelsen, Verfassungsrichter und Hauptautor der österreichischen Verfassung von 1920 wie folgt formuliert:

„Die Frage, die auf das Naturrecht zielt, ist die ewige Frage, was hinter dem positiven Recht steckt. Und wer die Antwort sucht, der findet, fürchte ich, nicht die absolute Wahrheit einer Metaphysik noch die absolute Gerechtigkeit eines Naturrechts. Wer den Schleier hebt und sein Auge nicht schliesst, dem starrt das Gorgonenhaupt der Macht entgegen.“

Was sind überpositive Rechtsgrundsätze?

Naturrecht (seltener überpositives Recht) ist in der Rechtsphilosophie die Bezeichnung für ein universell gültiges Ordnungsprinzip, dessen Grundannahme die Idee bezeichnet, dass aus der Natur des Menschen die Normen des menschlichen Zusammenlebens zu begründen sind. Naturrecht ist nicht naturethisch als „Recht der Natur“ zu verstehen, denn im Mittelpunkt steht der Werte bildende Mensch mit seinen Naturanlagen. 

Die im Naturrecht gelehrten Rechtsprinzipien werden unterschiedlichen, aber immer vom Menschen nicht beeinflussbaren Quellen zugesprochen. Als Beispiele seien genannt:

  • Gott oder eine bestimmte Gottheit, der die Rechtsprinzipien bei der Schöpfung geschaffen hat,
  • der als göttliches Gesetz gedeutete Logos, der die Welt ordnet und ihre Abläufe regelt,
  • das in das menschliche Individuum eingeschriebene und wirkende Naturgesetz (Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und Orientierung des Gewissens) im Unterschied zu den von den Menschen so definierten rein instinktiven Naturgesetzen des Tierreiches,
  • bestimmte naturwissenschaftliche Notwendigkeiten, die sich in der Natur zeigen,
  • die Natur als solche,
  • die Vernunft.

Trotz der Möglichkeit, als Quelle des Naturrechts sowohl Gott als auch den Menschen anzusetzen, kann es nicht im Sinne der modernen Naturwissenschaft verworfen werden, sondern bildet einen Hauptgegenstand der Moral- und Rechtsphilosophie. Nach Johannes Messner besteht das für das Naturrecht als Hauptbasis angesehene (spezifisch menschliche) Naturgesetz „nicht in einem unveränderlich für alle Zeiten gleichen Moral­kodex, vielmehr in den das vollmenschliche Sein bedingenden und den Menschen verpflichtenden Grundwerten oder Grundprinzipien, die nur in ihrem allgemeinen Gehalt unveränderlich und nur insoweit absolute Geltung besitzen, als sie dem unveränderlichen und selbst einen absoluten Wert darstellenden Grundwesen der Personnatur des Menschen entsprechen“.

Abgrenzung Überpositives Recht zum Rechtspositivismus

Für den Rechtspositivismus sind nur solche Normen verbindlich, die durch einen rechtsetzenden Akt erlassen worden sind. Überpositives Recht allein – als ein Bestand moralischer Grundsätze – unterliegt dann aus Sicht der positivistischen Rechtslehre einerseits nicht dem Zugriff des positiven Rechts, hat aber andererseits auch keine Rechtswirksamkeit. Der Druck konsens­fähiger Meinungen kann jedoch auf den Gesetzgeber Einfluss gewinnen, überpositive Grundsätze zum Gesetz (positives Recht) zu erheben.

Kritik

Am Anfang der Naturrechtskritik steht die Einsicht, dass schon das Wort Naturrecht vieldeutig ist.[72] Aus einer (angeblich) gottgestifteten Seinsordnung (so die katholische Naturrechtslehre), aus einem (angeblichen) Ur- oder Idealzustand der menschlichen Gesellschaft oder aus der „Natur des Menschen“ lasse sich als Naturrecht nur das herauslesen, was man zuvor als theologische oder moralische Prämissen hineingelegt habe. Solches normativ aufgeladene Naturrecht beruht also auf einem Zirkelschluss.[73] Wenn der Inhalt des Naturrechts hingegen nur allgemeingültige Sätze wie „Das Gute ist zu tun, das Böse zu lassen“ beinhaltet, liegt kein Zirkelschluss vor.

Anwendung des Naturrechts (=überpositive Rechtsgrundsätze) in Deutschland

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland griff die naturrechtliche Tradition auf. „Das Bekenntnis zu Menschenrechten knüpft unmittelbar an Art. 1 I GG an. Weil die Würde des Menschen unantastbar und es ‚Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘ ist, ‚sie zu achten und zu schützen‘, darum bekennt sich das deutsche Volk zu Menschenrechten. Die Menschenwürde, ein theologisch und philosophisch verwurzelter Begriff, wird primär als unantastbar vorausgesetzt; erst sekundär wird ihre Beachtung gesetzlich befohlen. Sie ist mithin als höchster Rechtswert deklariert und gibt Veranlassung für die weitere Anerkennung von Menschenrechten. Nach Auffassung vieler hat hier naturrechtliches Ideengut wieder Ausdruck in einer deutschen Verfassung gefunden. Die theonome Spitze der Verfassung findet sich in den Eingangsworten der Präambel, welche die Motive des Gesetzgebers offenlegt und in der das Staatsvolk auf seine ‚Verantwortung vor Gott und den Menschen‘ hinweist. So erscheint Art. 1 GG als eine Folge der Anrufung Gottes als des Schöpfers der Person (erschaffen ad imaginem Dei [nach dem Bild Gottes]).“

Dass der Parlamentarische Rat tatsächlich Naturrecht dem Grundgesetz, insbesondere im Bereich der Menschenwürde, zugrunde legte, wird zunehmend anhand der Akten der Beratungen des Parlamentarischen Rates abgelehnt.

Immer wieder liest man im Lager der Rechtspopulisten, dass es noch Ansprüche auf alte Reichsgrenzen von... 1937 oder noch älter gäbe, dass das heutige Grundgesetz seit 2007 keine Geltung mehr besitzt, dass es seit 1990 ein reineÜbergangslösung ist usw. Wir wollen Klarheit in dieses juristische Kuddelmuddel bringen und durchleuchten einmal, was Wikipedia dazu veröffentlicht. 

Die Geltungsdauer des Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Gemäß Art. 146 GG verliert das Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen wurde. Einen Aufruf, eine derartige Verfassung zu beschließen, enthält das Grundgesetz jedoch nicht. Der ursprüngliche Text der Präambel wies dem Grundgesetz bis 1990 als Aufgabe zu, „dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben“. Die Präambel alter Fassung wurde abgeschlossen mit dem Satz „Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“[43]

In der Umformulierung infolge des Einigungsvertrages von 1990 wurde nun vereinfacht und ohne Einschränkungen festgestellt, dass „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt[44] dieses Grundgesetz gegeben“ habe. „Die Deutschen in den Ländern [Aufzählung der Bundesländer] haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“[43]

In Artikel 146 wurde durch den Einigungsvertrag hinter den Worten „Dieses Grundgesetz“ der Nebensatz „das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt“ eingefügt, um klarzustellen, dass der Artikel auch nach Herstellung der deutschen Einheit weitergelte.

Die Textpassagen dieses Grundgesetz-Artikels werden gelegentlich dahin gehend interpretiert, nur eine direkt – also plebiszitär – beschlossene Verfassung erfülle das staatsrechtliche Programm des Grundgesetzes und der provisorische Zustand sei weiterhin gegeben. Mehrheitlich wird in der Staats- und Rechtswissenschaft darin jedoch kein demokratisches Defizit gesehen, denn das Prinzip der repräsentativen Demokratie, das hier letztlich zur Anwendung kommt, sei qualitativ und demokratietheoretisch nicht mangelhaft, sondern eine graduelle und systematische Grundentscheidung. Auch habe das Grundgesetz in seiner alten Fassung von einer freien Entscheidung des Volkes gesprochen – als Kontrast zur politischen Unfreiheit der Deutschen in der DDR –, nie jedoch von einer direkten Entscheidung. Daher seien besondere plebiszitäre Anforderungen hieraus nicht herleitbar. Das deutsche Volk habe durch den verfassungsändernden Gesetzgeber der Jahre 1990–94 stets frei und kontinuierlich gesprochen; es „hat im Grundgesetz eine gültige, würdige und respektierte Verfassung gefunden, unter der es ein freies, freiheitliches, demokratisches Leben in einem sozialen und föderativen Rechtsstaat führen kann“.[45]

Vielmehr schließe der belassene Artikel 146 eine Verfassungsreform mit Aufhebung des Grundgesetzes zwar nicht aus, er verlange sie aber auch nicht.[46]

Es ist nur scheinbar ein Widerspruch, dass diese gesamtdeutsche Verfassung weiterhin die Bezeichnung „Grundgesetz“ trägt. Das Grundgesetz erfüllt nicht nur alle Funktionen einer Verfassung und hat sich bereits im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik als solche gefestigt, sondern wird auch den Legitimitätsanforderungen an eine Verfassung gerecht. Die Beibehaltung des ursprünglichen Namens Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist historisch bedingt und lässt sich auch als Respekt vor der Arbeit des Parlamentarischen Rates deuten.

Gegenwärtig lautet daher die Feststellung zur Verfassungsgesetzgebung vereinfacht: Das Grundgesetz ist die Verfassung.[47]

Räumlicher Geltungsbereich des Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit wurde das Grundgesetz geändert:

In der Präambel heißt es nunmehr, das Grundgesetz gelte für das gesamte deutsche Volk, womit das Wiedervereinigungsgebot förmlich aufgehoben wurde.
Der bisherige Art. 23 (a.F.) ist entfallen, der den Geltungsbereich des Grundgesetzes für „andere Teile Deutschlands“ offen hielt.[48]

Art. 146 stellt klar, dass die Einheit Deutschlands vollendet ist.
Somit ergibt sich, dass mit Deutschland in den heutigen Grenzen der Geltungsbereich des Grundgesetzes endgültig festgelegt ist und Gebietsansprüche der Bundesrepublik nicht bestehen.

Die Verfassungsgebende Versammlung und das Grundgesetz im Kontext mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung

 

In der rechten Szene, insbesondere im Lager der Reichsbürger und Selbstverwalter werden das Grundgesetz als Verfassung und die heutigen Gebietsgrenzen abgelehnt und die BRD als Firmenkonstrukt gesehen, mit dem Zweck, die Interessen der nach wie vor aktiven Alliierten zu vertreten. Unter anderen aus diesen Gründen lehnen Reichsbürger und Selbstverwalter die BRD als souveränen Staat ab.

In einer vom deutschen Verfassungsschutz herausgegebenen Broschüre heisst es:

2.1 Leugnung der Legitimität und Souveränität der BRD
„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ziehen angesichts der Verpflichtungen und Abhängigkeiten, die ein Staat natürlicherweisedurch die Einbindung in internationale Verträge eingeht, häufig den Fehlschluss, dass ein derartiger Staat grundsätzlich nicht als souverän bezeichnet werden könne. Vor diesem Hintergrund wird in der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ gerne die Behauptung aufgestellt, dass die Alliierten der Bundesrepublik Deutschland niemals die volle Souveränität gewährt, sondern stets ihre Vormachtstellung als Besatzungsmächte beibehalten hätten. Dazu heißt es in der Schrift „Die ‚BRD‘-GmbH“:

„Zusammenfassend muß [sic] man feststellen, daß [sic] die oberste Regierungsgewalt im Besatzungsgebiet nach wie vor von den drei westlichen Besatzungsmächten ausgeübt wird. Das hierzu geschaffene Verwaltungskonstrukt ‚BRD‘ ist dabei ein Organ (beziehungsweise der verlängerte Arm) der drei westlichen Besatzungsmächte.“ Gemeint sind die USA, Frankreich und das Vereinigte Königreich (England).

2.2 Ablehnung von Grundgesetz und bestehender Rechtsordnung
Anhänger einer „Reichsideologie“ argumentieren auch damit, dass das Grundgesetz (GG) nie durch eine Volksabstimmung angenommen worden ist. Dies sei ihrer Meinung nach aber unabdingbar für die Wirksamkeit einer gültigen Verfassung. Folglich erscheint für „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ der deutsche Staat ohne eine „wirksame“ Verfassung als nicht existent. Zur Untermauerung dieser These wird entweder Art. 146
GG6 ins Feld geführt oder dessen Verfassungsmäßigkeit in Zweifel gezogen. Wie in dem Thesenpapier „21 Punkte zur tatsächlichen Situation in Deutschland“ mit Nachdruck ausgeführt wird:
„[…] bekam das besatzungsrechtliche Provisorium namens "Bundesrepublik Deutschland" [sic] keine vom Volk in freier Wahl angenommene Verfassung, sondern lediglich ein Grundgesetz. Ein Grundgesetz ist ein ‚Provisorium
zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in einem militärisch besetzen [sic] Gebiet für eine bestimmte Zeit‘.“

2.3 Geschichts- und Gebietsrevisionismus
Teile der Szene behaupten, das „Deutsche Reich“ bestehe fort. Dabei beziehen sich die jeweiligen „Reichsbürger“ jedoch nicht immer auf das gleiche „Deutsche Reich“, sondern auf verschiedene Staats- und Herrschaftsformen sowie Grenzziehungen. Es finden sich zum Beispiel Verweise auf die Jahre 1871, 1919 oder 1937. „Die Exil-Regierung Deutsches Reich“ führt zu ihren territorialen Vorstellungen aus:

„Der Begriff Wiedervereinigung ist […] irreführend, da nur zwei Teile Deutschlands, die Bundesrepublik Deutschland (Westdeutschland) und die Deutsche Demokratische Republik (Mitteldeutschland) vereinigt wurden, Ostdeutschland aber immer noch besetzt ist und deutsche Staaten wie Österreich, Luxemburg oder Liechtenstein immer noch eigene Kleinstaaten sind.“8

Derartige revisionistische Vorstellungen bilden eindeutige Berührungspunkte zum Rechtsextremismus, insbesondere durch das Infragestellen der deutschen Ostgrenze bzw. durch die Rückforderung der ehemaligen deutschen Ostgebiete. Zu dem steht die Forderung nach territorialen Erweiterungen dem Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 GG) und insbesondere dem friedlichen Zusammenleben der Völker (Art. 26 GG) entgegen.

Das Deutsche Reich und seine wechselnden Bezeichnungen


962-1806 Heiliges Römisches Reich (seit 1512 mit dem
offiziellen Zusatz „Deutscher Nation“, auch als „Altes Reich“ bezeichnet)
Staats- bzw. Herrschaftsform: Monarchie

1871-1918 Deutsches Reich (auch als „Deutsches Kaiserreich“ „Wilhelminisches Reich“ oder „Zweites Reich“ bezeichnet)
Staats- bzw. Herrschaftsform: Monarchie

1918-1933 Deutsches Reich (auch als „Weimarer Republik“ oder „Deutsche Republik“ bezeichnet)
Staats- bzw. Herrschaftsform: Republik

1933-1945 Deutsches Reich (auch als „Drittes Reich“, „Großdeutsches Reich“, „Hitler-Reich“ oder „Tausendjähriges Reich“ bezeichnet)
Staats- bzw. Herrschaftsform: Diktatur


Laut Bundesverfassungsgericht ist das Deutsche Reich nicht
untergegangen und die Bundesrepublik Deutschland nicht sein
Rechtsnachfolger, sondern mit ihm identisch (hinsichtlich der
räumlichen Ausdehnung allerdings nur „teilidentisch“)

Warum gelten Reichsbürger als Bedrohung? 

Unter anderem wegen oben genanntem Punkt, der Nichtakzeptanz der aktuellen Hoheitsgebiete der BRD und u.a. auch aus folgenden Gründen: 

2.4 Völkisches Gedankengut
Einige Gruppierungen und Einzelpersonen des Spektrums der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ machen eine Zugehörigkeit zum deutschen Volk allein von der ethnischen Abstammung abhängig. Bisweilen verlangen sie einen Nachweis der Abstammung bis in die Zeit der Weimarer Republik. So findet
sich auf der Website der „Reichsmeldestelle der Exil-Regierung Deutsches Reich“ der Hinweis: „Sie alle besitzen eine Staatsangehörigkeit, die Ihnen jedoch seit der Weimarer Republik verschwiegen wird. Sie besitzen also eine latente ‚verborgene’ Staatsangehörigkeit. Diese wird Ihnen automatisch über Ihre Abstammung vererbt.“ 

2.5 Antisemitismus und Holocaust-Leugnung
Rechtsextremistische Teile der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene vertreten Elemente antisemitischer Verschwörungstheorien, die auch mithilfe der im Rechtsextremismus verbreiteten Codes und Chiffren transportiert werden. Unter anderem wird von der „Neuen Gemeinschaft von Philosophen“
(NGvP)11 die Behauptung aufgestellt, dass „das finanzmächtige internationale Judentum […] seit sehr langer Zeit […] den Werdegang des Weltgeschehens“12 steuere. Bei ihrer Argumentation stützt sich die Gruppierung bisweilen auf nachweislich gefälschte „Dokumente“, wie die „Protokolle der Weisen von Zion“. An anderer Stelle wird hingegen ein als Kritik an der „Hochfinanz“ verbrämter Antisemitismus bedient:

„Die wirklichen Herrscher in der Welt sind die Vertreter der internationalen Hochfinanz. Deren Macht basiert auf einem betrügerischen, zinsbasierten Zentralbanksystem, mit dessen Hilfe die Menschen, Unternehmen und Staaten weltweit permanent schleichend enteignet werden.“

Hinzu kommen schließlich sekundär antisemitische Argumentationsmuster: So beklagt sich beispielsweise „Die Exil-Regierung Deutsches Reich“ darüber, dass „wir [Deutschen] […] für Holocaustüberlebende der zweiten, dritten und sonstigen Generationen bezahlen“ müssten.
In einer Internetveröffentlichung unter der Überschrift „Die jüdische Weltverschwörung gegen die Völker Europas ist offenkundig! – mit der Asylantenflut hat ihre letzte Phase begonnen“ schreckt die NGvP selbst vor der direkten Leugnung des Holocaust nicht zurück. Dort wird ausgeführt:

„Die jüdische Elite hat die Holocaustlüge in die Welt gesetzt, um ihren größten Feind, die Deutschen, verteufeln und unterjochen zu können.“

Und was haben nun die Reichsbürger mit dem weltweit Völkerrechtlich verbrieften Recht des Volkes auf die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung zu tun?

Eine ECHTE Verfassungsgebende Versammlung ist jüngst geschehen in Venezuela, genauer gesagt im Jahr 2017. Dort pochte das Volk auf sein Recht die venezuelanische Regierung auf Grund NICHT Gefallens auszutauschen. Im Gegensatz zu diesem Akt, der vom Volke Venezuelas aus purer und wohl gerechtfertigter Unzufriedenheit ausging, handelt es sich bei der Verfassungsgebenden Versammlung der Reichsbürger um etwas viel Bedrohlicheres für den Innen und Aussenpolitischen Frieden der BRD. Denn dort steht neben durchaus vernünftigen und positiven Ansätzen vor allem jede Menge ultra rechtes Gedankengut geschrieben, das ich an dieser Stelle nicht wiederholen möchte, sich jedoch mit den oben genannten Erkenntnissen des Bundesverfassungsschutz auffallend deckt. DESSHALB und nur DESSHALB ist die Verfassungsgebende Versammlung der Reichsbürger im Visier des Verfassungsschutz und nicht weil eine solche an sich illegal etwa wäre. Nebenbei bemerkt beinhaltet die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung durch das "FALSCHE Lager" durchaus genug Sprengstoff um die missliche Lage in einem Land im Zweifelsfall noch zu verschärfen, wie Zeitungen unlängst berichten.

 5.4 „Verfassunggebende Versammlung“
Die „Verfassunggebende Versammlung“ hält die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der angeblich nicht stattgefundenen Wiedervereinigung im Jahre 1990 für nichtig.
Die Bundesrepublik sei vielmehr ein „US-amerikanisches Unternehmen“ bzw. „eine privatwirtschaftliche Organisation im See- und Handelsrecht“. Folglich lehnt die „Verfassunggebende Versammlung“ alle seit 1990 geschlossenen staatsrechtlichen Verträge als ungültig ab. Im Zuge dieser Ablehnung des bestehenden Systems werden Amtsträger kontinuierlich diffamiert und Mitglieder der Regierung öffentlich als „Volksverräter“ tituliert.

Quelle: Verfassungsschutz

An anderer Stelle aus Bayern  heisst es: 

Die Gruppierung lehnt die bestehenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland ab und spricht ihr die Existenzberechtigung ab. So wird z. B. auf der Homepage der Gruppierung ausgeführt:

„Durch die aktuelle Situation in Deutschland ist die gesamte Menschheit versklavt. 1990 wurden alle Menschen der Erde betrogen. Die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am 3. Oktober 1990, ist juristisch niemals erfolgt. Die Bundesrepublik Deutschland heute, ist ein USamerikanisches Unternehmen, was ohne jeden Zweifel nachweisbar ist. […] Es gibt keinen Staat Bundesrepublik Deutschland […].“

Die Anhänger der Verfassunggebenden Versammlung planen, an einem nicht näher bestimmten „Tag X“ eine temporäre „Verfassunggebende Versammlung“ einzuberufen und so die
Verfassung und die Gesetze als Basis eines neuen, vermeintlich (wieder) handlungsfähigen Deutschlands zu schaffen.

Im Jahr 2018 fiel die Gruppierung in Bayern mit wenigen öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf. So kam es im Juni 2018 in München zu einer Flugblattverteilaktion. In diesen Flugblättern wurde der Internetauftritt der Gruppierung beworben und die Adressaten zur Durchführung und Teilnahme an einer „Verfassunggebenden Versammlung“ aufgerufen. Im November 2018 konnten an der öffentlichen Bekanntmachungstafel einer Gemeinde im Landkreis Kelheim zwei Flugblätter der Gruppierung, in denen ebenso zur Teilnahme an „Volkswahlen“ aufgefordert wurde, festgestellt werden. Eine unbekannte Person hatte die „amtliche Bekanntmachung“ offenbar von der Internetseite der Verfassunggebenden Versammlung heruntergeladen und diese dann ausgedruckt an der Gemeindetafel angebracht.

Im Jahr 2019 fiel die Gruppierung in Bayern mit vereinzelten öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf. So kam es im Juli 2019 in Bogen zu einer Flugblattverteilaktion. In den Flugblättern wurden die Adressaten zur Teilnahme an „Volkswahlen“ aufgefordert. Die nach außen gerichteten Aktivitäten der Verfassunggebenden Versammlung finden hauptsächlich im Internet statt.

Fazit: 

Es ist aus unserer Sicht eine Beleidigung und grenzt fast schon an Vergewaltigung, wenn das rechte Lager den Begriff der Verfassungsgebenden Versammlung für sich verwendet und inhaltlich in das rechtsextreme Lager zieht, denn in Wirklichkeit handelt es sich Verfassungsgebenden Versammlung  um nichts anderes, als um das Recht der Menschen frei darüber entscheiden zu können, wann welche Verfassung ihre Gültigkeit erhält. 

Denn wie bereits Eingangs erwähnt: 

Die Verfassunggebende Versammlung ist WELTWEIT fest und unantastbar im Völkerrecht verankert. 

„Ein Volk hat stets das Recht, seine Verfassung zu überprüfen, zu reformieren und zu ändern. Eine Generation kann nicht die kommenden Generationen ihren Gesetzen unterwerfen.“

Alle Macht geht vom Volk aus.

 

Historische Beispiele

In der Zeit bis zum 19. Jahrhundert:

die Versammlung zu Runnymede: englischer König und Adel einigten sich auf die Magna Carta (1215)
die Christliche Vereinigung schreibt im oberschwäbischen Memmingen die Zwölf Artikel, die ersten niedergeschriebenen Menschenrechte der Welt und die Bundesordnung (1525)
der westfälische Friedenskongress, auf der der Westfälische Friede geschlossen wurde (1643–1649)
die Philadelphia Convention (1787) – Sie entwarf die Verfassung der Vereinigten Staaten.
der Vierjährige Sejm in Polen (1788–1791), welcher die erste schriftliche gewaltenteilende Verfassung Europas am 3. Mai 1791 verabschiedete
die französische Konstituante (1789–1791) – Sie gab Frankreich am 3. September 1791 die erste Verfassung mit der berühmten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Die erste französische Republik wurde zum historischen Modell europäischer Verfassungsstaaten.

Im Zeitraum 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg:

die Verfassung von Cádiz (1812), die erste spanische Verfassung (La Pepa)[18]
die Verfassunggebende Reichsversammlung von Eidsvoll (1814), welche die norwegische Verfassung erarbeitete (zum Makel dieser Verfassung siehe Geschichte der Juden in Norwegen)
die Frankfurter Nationalversammlung (1848–1849)
das Erfurter Unionsparlament (1850)
die Russische konstituierende Versammlung (1918)
die Weimarer Nationalversammlung (1919–1920)
die (Wiener) Konstituierende Nationalversammlung (1919–1920)
die estnische Asutav Kogu (1919–1920)
die lettische Satversmes Sapulce (1920)

Nach dem Zweiten Weltkrieg:

die Assemblea Costituente der Italienischen Republik (1946–1948)
Verfassung(s)gebende Landesversammlungen in den Ländern des besetzten Deutschlands
in der amerikanischen Zone beispielsweise die Verfassunggebende Landesversammlung Württemberg-Baden (Juni 1946)
in der französischen Zone beispielsweise die Beratende Landesversammlung für Baden (November 1946)
Beispiel für die britische Zone: eine Vorläufige Verfassung der Hansestadt Hamburg vom 15. Mai 1946, die Verfassung stammt erst aus dem Jahr 1952
der Parlamentarische Rat der Bundesrepublik Deutschland (1948–1949)
die Verfassungsgebende Versammlung des Staates Israel („Haassefa Hamehonenet“) (Februar 1949)
die Verfassunggebende Versammlung in Portugal: Assembleia Constituinte[19] (1975–1976)
der Europäische Konvent (1999–2003), welcher die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und den gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa ausarbeitete
die afghanische Constitutional Loja Jirga (2003–2004)
die bolivianische Asamblea Constituyente (2006–2009)
die Verfassunggebende Versammlung Tunesiens (2011–2014)
die Verfassunggebende Versammlung Ägyptens (seit 2012)
die Verfassunggebende Versammlung Venezuelas (Asamblea Nacional Constituyente de Venezuela), seit 2017

Künstlerische Darstellung einer Verfassunggebenden Versammlung:
Friedrich Schiller brachte 1804 im 2. Akt seines Wilhelm Tell eine Verfassunggebende Versammlung meisterhaft auf die Bühne, einschließlich Geschäftsordnungsdebatten, einstimmigem Gründungsbeschluss und Einzelbeschlussfassung mit Mehr- und Minderheit.

DER SCHÜTZE WILLHELM TELL
Im Jahre 1307 schikaniert ein tyrannischer Landvogt die Bewohner des Dörfchens Altdorf – da tritt Wilhelm Tell auf, um zu dem unvergesslichen Helden zu werden, der die Ehre der Nation verteidigt…

Die Geschichte von Wilhelm Tell ist weltbekannt: Ein Bogenschütze, der einen Apfel vom Kopf seines Bubs schoss. Aber kaum einer weiss, wie es dazu kam. Davon erzählt diese Sage.

Es war an einem Sonntag, als Tell sich aufmachte: Von Bürglen her, einem Dorf im Schächental, wollte er seinen Schwiegervater, den Walter Fürst in Altdorf, besuchen. Er schulterte die Armbrust, nahm den Knaben Walter an die Hand, und strammen Schritts ging’s voran. Bald schon hatten beide den Ort erreicht. Als Tell nun mit seinem Sohn den Hauptplatz überquerte, war dort eine Eisenstange, die in den Himmel ragte. Oben hing ein Hut mit prächtiger Pfauenfeder. Dieser gehörte dem tyrannischen Landvogt Gessler, der sich stets neue Demütigungen für das Volk einfallen liess. Nun sollte sich jeder Bürger vor dem Hut verbeugen. Zwei Waffenknechte standen vor der Stange und zwangen die Vorbeigehenden zum Gehorsam: Die Frauen mussten knicksten, die Männer ihr Haupt neigen, bleich vor Wut und Scham.

Wilhelm Tell wollte schon aufrechten Hauptes vorbeieilen. Da streckten die Wächter ihre Lanzen aus. „Du hast dem Hut nicht den Respekt erwiesen. Dafür gehörst du bestraft“, riefen sie. Doch Tell setzte sich zur Wehr. Dies verursachte so einen Tumult, dass bald das ganze Dorf zusammenlief. Plötzlich erklang Pferdegetrappel: Landvogt Gessler ritt heran. „Herr, der hat sich nicht verbeugt“, schrie ein Wächter.

Gessler erkannte Tell, er war ihm seit jeher verhasst. „Du sollst doch so ein guter Schütze sein; dann beweis deine Bogenkunst. Ich befehle dir, schiess einen Apfel vom Haupt deines Kindes!“ Tell wurde kreidebleich und bat um Gnade. Aber die Waffenknechte hatten den Jungen schon an einen Baum gebunden. Was blieb Tell noch übrig? Zwei Pfeile lud er ins Göller. Das ganze Dorf hielt den Atem an, als er schoss. Und tatsächlich, der Apfel fiel zu Boden, mittig durchbohrt von dem Pfeil. Jubelnd lief der kleine Walter zum Vater, der noch zitternd die Armbrust umklammerte.

„Ein Meisterschuss“, sprach der Landvogt, „aber wozu der zweite Pfeil im Göller?“ Wilhelm Tell erwiderte: „Hätte ich den Kopf meines Kindes getroffen, Euch hätte ich sicher nicht verfehlt!“

Video: DIE ZEIT WirtschaftsforumVerfassung aushebeln Helmut Schmidt + Wolfgang Schäuble

"In einer großen Krise guckt man nicht auf die Verfassung" Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble führten vor einiger Zeit eine äußert heikle öffentliche Diskussion über politische Maßnahmen in der Krise. Dabei fiel auch das hässliche Wort: "Verfassungsflexibilisierung".

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Last modified onSaturday, 11 July 2020 16:50